Rückzugsfiktion nach Art. 355 Abs. 2 StPO relativiert
Nach Art. 355 Abs. 2 StPO gilt die Einsprache gegen einen Strafbefehl als zurückgezogen, wenn die betreffende Person einer Vorladung zu einer Einvernahme unentschuldigt fernbleibt. Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen hat diese Fiktion nun insofern relativiert, dass sie jedenfalls dann auszuschliessen ist, wenn die einzuvernehmende Person zu kurzfristig vorgeladen wird.
Sie wendet Art. 202 Abs. 1 lit. b StPO analog an und verlangt mindestens 10 Tage:
Zur Begründung führte sie aus, die Staatsanwaltschaft habe zwar die Minimalfrist von drei Tagen gemäss Art. 202 Abs. 1 lit. a StPO beachtet. Bei der Festlegung der Vorladungsfrist sei jedoch auch der Bedeutung einer Verfahrenshandlung und einer damit verbundenen Verwirkungsfolge bei Nichteinhaltung des Termins angemessen Rechnung zu tragen. Bei unentschuldigter Absenz von einer Einvernahme sei die Einsprache im Strafbefehlsverfahren nach Art. 355 Abs. 2 StPO verwirkt. Dies gebiete grundsätzlich, dass im Regelfall im Strafbefehlsverfahren in analoger Anwendung von Art. 202 Abs. 1 lit. b StPO Vorladungen mindestens zehn Tage vor der Verfahrenshandlung zuzustellen seien. Vorliegend sei die Vorladung jedoch nur vier volle Tage vor dem Einvernahmetermin zugestellt worden.
Damit wollte sich die Staatsanwaltschaft nicht abfinden und gelangte ans Bundesgericht, das jedoch nicht auf ihre Beschwerde eintrat (BGer 1B_759/2012 vom 20.02.2013). Der Entscheid fasst in zwei Erwägungen zusammen, unter welchen Voraussetzungen die Staatsanwaltschaft Zwischenentscheide mit Beschwerde in Strafsachen anfechten kann:
1.3 Ein Rückweisungsentscheid bewirkt für die Staatsanwaltschaft in der Regel keinen irreversiblen rechtlichen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. Eine Ausnahme von dieser Regel ist gemäss der Rechtsprechung etwa bei Haftentlassungsentscheiden zu machen (BGE 137 IV 237 E. 1.1 S. 239 f. mit Hinweisen). Auch wenn das Zwangsmassnahmengericht die Genehmigung einer Überwachungsmassnahme verweigert, kann – insbesondere wenn bei schweren Delikten ein Beweisverlust droht – ein nicht wieder gutzumachender Nachteil vorliegen (BGE 137 IV 340 E. 2.3 S. 344 ff. mit Hinweisen). Gleiches gilt, wenn eine Behörde durch einen Rückweisungsentscheid gezwungen wird, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu treffen (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff. mit Hinweisen; Urteil 1B_160/2012 vom 20. September 2012 E. 1.2). Kein nicht wieder gutzumachender Nachteil folgt dagegen aus der präjudiziellen Wirkung eines Entscheids, denn ein solche Wirkung besteht in jedem Fall. Auch aus der blossen Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens bzw. aus einer Erhöhung der Arbeitslast ergibt sich kein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 137 IV 237 E. 1.1 S. 240; 133 IV 139 E. 4 S. 141; Urteile 1B_218/2012 vom 26. Juni 2012 E. 2.3; 1B_214/2011 vom 19. August 2011 E. 1.2.2; 1B_265/2011 vom 22. Juli 2011 E. 1.4; je mit Hinweisen). Daraus folgt, dass der Staatsanwaltschaft, die durch den vorinstanzlichen Entscheid angehalten wird, das Verfahren weiterzuführen, kein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht. Es verhält sich insofern gleich wie in den Fällen, wo die kantonale Beschwerdeinstanz eine Nichtanhandnahme- oder Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft aufhebt.
1.4 Eine Anfechtung gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt ebenfalls ausser Betracht. Die Voraussetzung, wonach die Gutheissung der Beschwerde einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen muss, ist im Strafverfahren restriktiv auszulegen (Urteil 1B_314/2011 vom 20. September 2011 E. 3 mit Hinweis). Das Bundesgericht hat in einem Urteil, in dem mit dem angefochtenen kantonalen Entscheid die Eröffnung eines Strafverfahrens angeordnet wurde, dargelegt, dass die dem Zivilprozessrecht entstammende Regelung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG im von der Offizialmaxime geprägten Strafprozess einen eigentlichen Fremdkörper darstellt (Urteil 6B_782/2008 vom 12. Mai 2009 E. 1.4 mit Hinweisen, in: Pra 2009 Nr. 115 S. 787). Diese Überlegung gilt selbstredend nicht nur für den Angeschuldigten, sondern auch für die Staatsanwaltschaft. Jedenfalls rechtfertigen die vorliegend durch das in Aussicht genommene Gutachten entstehenden Kosten von schätzungsweise Fr. 2’500.– und die damit einhergehende Verfahrensverlängerung nicht, auf die Beschwerde gegen den Zwischenentscheid einzutreten. Die Staatsanwaltschaft, die sich unter anderem auf das Beschleunigungsgebot (Art. 5 StPO) beruft, musste damit rechnen, dass das Verfahren vor Bundesgericht länger dauern würde als die Erstellung eines Gutachtens, für welche sie etwa drei Monate veranschlagt. Schliesslich begründet ihr Anliegen, die von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen möglichst früh zu klären, auch unter dem Titel von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG keine Anfechtungsmöglichkeit (Urteil 1B_242/2008 vom 11. November 2008 E. 3.2).
Wie nur soll die Staatsanwaltschaft – der nach Bundesgericht eine uneingeschränkte Rechtsmittellegitimation zukommt – diese Frage – in einem Endentscheid (welcher Art ?) – nochmals aufnehmen können?
Niemals. Sehe auch keine Möglichkeit.
Also ist etwas falsch. Entweder der Entscheid (nicht wieder gutzumachenden Nachteil) oder die grundsätzliche Rechtsmittellegitimation der Staatsanwaltschaft auch in Verfahrenssachen. Ich tendiere auf Letzteres
Ich auch.
Es dürfte inzwischen auch dem Regierungsrat Chr. Neuhaus und dem Staatsanwalt Wenger bekannt sein, dass wir zu keiner Zeit unsere Strafanzeigen zurück gezogen haben und an keinem der amtlichen Verfahren nach StrV Art. 3 als Privatkläger teilgenommen haben. Die Nichtanhandnahme der Offizialdelikte von Anwälten ist rechtswidrig. Wir bitten aber um die vom Gesetz zugesicherte Auskunft ob die Strafverfolgung inzwischen eingeleitet wurde.
32.72 . 09.2 AUC / 3872 – 10.1 ZUR ZK 16 394 KES 16.1 GYS