Rückzugsfiktion vs. Treu und Glauben

Das Bundesgericht publiziert heute gleich drei Entscheide, in denen es Verfahrensfehler der Vorinstanzen feststellen musste. Bemerkenswert ist insbesondere der Vorwurf der Verletzung von Treu und Glauben an die Staatsanwaltschaft, welche eine ihr bekannte Auslandsabwesenheit des Beschwerdeführers dazu „nutzte“, nicht auf eine Einsprache einzutreten (Art. 355 Abs. 2 StPO; BGer 6B_86/2013 vom 12.04.2013). Zu beurteilen war folgender Sachverhalt:

Nachdem er in seiner Einsprache geltend gemacht hatte, er habe das Fahrzeug nicht gelenkt, lud ihn die Staatsanwaltschaft auf den 21. August 2012 zur Einvernahme vor mit der Androhung, bei unentschuldigtem Fernbleiben gelte die Einsprache als zurückgezogen. Am 8. August 2012 teilte der Beschwerdeführer mit, da er noch bis zum 8. September 2012 im Ausland sei, könne er den Termin vom 21. August 2012 nicht wahrnehmen. Die Staatsanwaltschaft lud ihn am 16. August 2012 unter der gleichen Androhung auf den 18. September 2012 vor. Die zweite Vorladung wurde durch die Post am 28. August 2012 mit dem Vermerk „nicht abgeholt“ retourniert. Zur Einvernahme erschien der Beschwerdeführer nicht. Die Staatsanwaltschaft trat am 21. September 2012 androhungsgemäss auf die Einsprache nicht ein.

Das Bundesgericht wirft der Staatsanwaltschaft vor, treuwidrig gehandelt zu haben, indem sie den Beschwerdeführer nicht nochmals auf den Termin aufmerksam gemacht hat.

Im vorliegenden Fall kam die Vorladung am 28. August 2012 mit dem Vermerk „nicht abgeholt“ zur Staatsanwaltschaft zurück. Zu diesem Zeitpunkt musste diese realisieren, dass der nicht rechtskundig vertretene Beschwerdeführer einen Verfahrensfehler begangen hatte. Obwohl er nach seinem Ve[r]schiebungsgesuch mit einer neuen Vorladung rechnen musste, hatte er es unterlassen, dafür zu sorgen, dass ihn eine solche während seiner Abwesenheit erreichen wird. Gemäss seinen Angaben hielt er sich bis zum 8. September 2012 im Ausland auf. Da die Verhandlung erst auf den 18. September 2012 angesetzt war, wäre es der Staatsanwaltschaft ohne Weiteres möglich gewesen, den Beschwerdeführer rechtzeitig nochmals auf die Verhandlung aufmerksam zu machen. Statt dessen wartete sie den Termin ab und trat dann auf die Einsprache nicht ein, weil der Beschwerdeführer nicht erschien. Das Stillschweigen der Staatsanwaltschaft verletzt den in Art. 9 BVverankerten Anspruch des Beschwerdeführers, durch die staatlichen Organe nach Treu und Glauben behandelt zu werden (E. 3.2).

Manchmal ist das Bundesgericht halt einfach ein bisschen grosszügiger, v.a. wenn der Beschuldigte nicht anwaltlich vertreten ist. Das ist aber an sich ja kein sachgerechtes Kriterium.