Rückwirkender Entzug der amtlichen Verteidigung?
Ein heute im Internet publizierter Entscheid des Bundesgerichts enthält einen Sachverhalt, den es aus mehreren Gründen gar nicht geben dürfte (BGer 1B_555/2021 vom 01.09.2022). Das Bundesgericht stellt ihn wie folgt dar:
Mit Strafbefehlen vom 27. Januar 2021 bestrafte die Staatsanwaltschaft Bischofszell B. und C. wegen Widerhandlung gegen das Planungs- und Baugesetz des Kantons Thurgau mit einer Busse von je Fr. 2’000.–. B. und C. erhoben dagegen Einsprache, worauf die Staatsanwaltschaft die Sache an das Bezirksgericht Weinfelden überwies und die Verurteilung der beschuldigten Personen im Sinne der Strafbefehle beantragte. Der vorsitzende Richter des Bezirksgerichts hiess ein von B. und C. gestelltes Gesuch um amtliche Verteidigung am 12. April 2021 gut und setzte Rechtsanwalt A. als amtlichen Verteidiger ein. Mit Urteil vom 22. Juni bzw. 26. Juli 2021 sprach das Bezirksgericht B. und C. der Widerhandlung gegen das Planungs- und Baugesetz schuldig und bestrafte sie mit je einer Busse von Fr. 500.– (…). Das Bezirksgericht auferlegte B. und C. die Verfahrenskosten im Umfang von je Fr. 1’300.– (…). Gleichzeitig entzog es ihnen die am 12. April 2021 bewilligte amtliche Verteidigung rückwirkend (…) [E. A, Hervorhebungen durch mich].
Unklar ist, wieso hier überhaupt eine amtliche Verteidigung infrage kam und ob der Verteidiger tatsächlich für beide Beschuldigten eingesetzt (und rückwirkend wieder abgesetzt) wurde. Jedenfalls focht der Verteidiger den rückwirkenden Entzug in eigenem Namen an. Das Obergericht trat dann aber nicht einmal auf seine Beschwerde ein, worauf er das Bundesgericht anrufen musste und – erwartbar – obsiegt hat:
Der Beschwerdeführer ist als amtlicher Verteidiger der beschuldigten Personen eingesetzt und tätig geworden. Zwischen ihm und dem Kanton hat ein öffentlich-rechtliches Verhältnis mit entsprechenden Rechten und Pflichten bestanden (vgl. BGE 139 IV 261 E. 2.2.1). Der Beschwerdeführer hat ein rechtlich geschütztes Interesse, sich gegen den rückwirkenden Widerruf seines Mandats zur Wehr zu setzen (vgl. Urteil 1B_632/2012 vom 19. Dezember 2012 E. 1). Zwar kann der Anwalt, der im Namen der von ihm vertretenen Person erfolglos ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt hat, dagegen nicht in eigenem Namen vorgehen (vgl. Urteil 1B_705/2011 vom 9. Mai 2012 E. 2.2 mit Hinweisen). Davon unterscheidet sich jedoch die vorliegende Situation, in welcher der Beschwerdeführer als amtlicher Verteidiger zunächst eingesetzt und anschliessend rückwirkend wieder abgesetzt worden ist, wodurch er an der Anfechtung des Entscheids des Bezirksgerichts nicht nur ein faktisches, sondern ein persönliches und unmittelbares und damit ein rechtlich geschütztes Interesse hat. Der Nichteintretensentscheid der Vorinstanz verletzt Art. 382 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 lit. b und Art. 111 Abs. 1 BGG (E. 2.2, Hervorhebungen durch mich).
Bemerkenswert ist, dass dem betreffenden Anwalt (anders als bei einer Beschwerde an das Bundesstrafgericht wegen unzulässiger Honorarkürzung) keine Parteientschädigung zugesprochen wurde.
Er war nicht vertreten. Das ist der einzige Grund.
Meines Wissens gibt es am Bundesstrafgericht auch eine Parteientschädigung, wenn sich der um seinen Honoraranspruch geprellte amtliche Verteidiger selber vertritt.
@kj Wenn ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin eine Beschwerde gegen die Höhe der Entschädigung als unentgeltlicher Rechtsbeistand führt und sich selbst vertritt erhält er oder sie bei (teilweisem) Obsiegen hingegen eine Parteientschädigung. Dies wird damit begründet, dass er oder sie mit einem solchen Mandat keinen Verlust erleiden soll (also nicht gratis arbeiten soll). Weshalb die Praxis hier anders ist ist für mich nicht nachvollziehbar., denn das Ziel dürfte ja sein später eine Entschädigung für die bereits geleistete Arbeit als amtlicher Verteidiger zu erhalten.