Rückzugsfiktion auch bei Missachtung der gesetzlichen Zustellformen

Ein im Ausland wohnhafter Beschuldigter wurde nach Einsprache gegen einen Strafbefehl in Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellungsformen zu einer Einvernahme vorgeladen. Nachdem er nicht erschienen war, verfügte die Staatsanwaltschaft den Rückzug der Einsprache (Rückzugsfiktion gemäss Art. 355 Abs. 2 StPO). Obergericht und Bundesgericht sehen darin keine Verletzung von Bundesrecht (BGer 6B_390/2013 vom 06.02,2014).

Dass dem Beschuldigten der Einvernahmetermin nicht den gesetzlichen Zustellungsformen entsprechend eröffnet worden war, half ihm nicht:

Die gesetzlich vorgeschriebenen Zustellungsformen tragen dem Umstand Rechnung, dass Verfügungen oder Entscheide, die der betroffenen Person nicht eröffnet worden sind, grundsätzlich keine Rechtswirkungen entfalten (BGE 122 I 97 E. 3a/bb S. 99) und der Beweis der ordnungsgemässen Eröffnung sowie deren Datums der Behörde obliegt, die hieraus rechtliche Konsequenzen ableiten will (BGE 136 V 295 E. S. 309; 129 I 8 E. 2.2 S. 10 f.; 1C_603/2012 vom 19. September 2013 E. 3.1). Sie haben ausschliesslich Beweisfunktion. Ist der Zugang der Mitteilung (auf andere Weise) erbracht, kommt der Form der Zustellung für die Wahrung der zu schützenden Interessen der betreffenden Person (Informationsrecht) keine weitergehende oder derart erhebliche Bedeutung zu, dass die Vorladung bei Nichtbeachtung von Art. 85 Abs. 2 StPO ungültig ist (vgl. BGE 90 IV 55 E. 3). Zudem verstösst die nachträgliche Rüge des Formmangels gegen Treu und Glauben mit der Folge, dass eine mangelhaft eröffnete Mitteilung unanfechtbar wird (vgl. BGE 134 V 306 E. 4.2 S. 312 f.; Urteil 6B_14/2013 vom 3. Juni 2013 E. 1.3; je mit Hinweisen) [E. 2.3.2].

Dem Beschwerdeführer wurde letztlich wohl zum Verhängnis, dass er mit einem Verschiebungsgesuch auf die falsch zugestellte Vorladung reagierte und damit notwendigerweise zu erkennen gab, vom Einvernahmetermin Kenntnis zu haben. Die Staatsanwaltschaft erklärte ihm per E-Mail, wie das Verschiebungsgesuch zu belegen sei:

Sehr geehrter Herr X.
Ein Bankomatenauszug ist nicht nötig. Hingegen bitte ich Sie, da Sie selbstständig erwerbend sind, um Angabe zumindest eines Geschäftstermins in Portugal (Ort und Geschäftspartner), damit ihre Angaben verifiziert werden können.
In der Annahme, dass die Verschiebung gewährt werden kann, bitte ich Sie zudem, mir bereits jetzt bekanntzugeben, welche der folgenden Termine Ihnen nach Ihrer Rückkehr am 19.11. passen würden:
– Dienstag, 20.11.2012, 13.30 Uhr
– Mittwoch, 21.11.2012, 9.30 Uhr oder 13.30 Uhr
– Donnerstag, 22.11.2012, 13.30 Uhr (…)
Darauf reagierte der Beschuldigte nicht mehr, was die Staatsanwaltschaft dazu veranlasste, das Verschiebungsgesuch nachträglich abzuweisen, das Nichterscheinen festzustellen und die Einsprache als zurückgezogen zu qualifizieren. Sie verfasste dazu folgende Aktennotiz:
Da sich der Beschuldigte trotz seiner angekündigten Rückkehr am 19.11.2012 nicht mehr gemeldet hat und keine genügenden Angaben zur Bestätigung seines beruflichen Aufenthalts in Portugal geliefert hat, ist das Verschiebungsgesuch als unzureichend begründet anzusehen und er ist daher zu der auf den 1. November 2012 angesetzten Einvernahme unentschuldigt nicht erschienen, weshalb die Einsprache nunmehr als zurückgezogen gilt und eine entsprechende Verfügung erlassen wird.
Formell abgewiesen wurde das Verschiebungsgesuch freilich nie, wahrscheinlich weil es nie formrichtig gestellt wurde. Ich gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht realisiert hat, dass seine Einsprache als zurückgezogen fingiert werden könnte. Wahrscheinlich fühlt er sich seinerseits treuwidrig behandelt. Aber das wollte der Gesetzgeber mit der unsäglichen Rückzugsfiktion ja so.