Rückzugsfiktionen im Berufungsverfahren
Bekanntlich kennt die StPO auch im Berufungsverfahren ein paar tückische Rückzugsfiktionen. Ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts befasst sich mit derjenigen von Art. 407 Abs. 1 lit. b StPO (BGer 6B_826/2023 vom 26.10.2023):
Mit Beschluss vom 27. März 2023 ordnete die Verfahrensleitung des Obergerichts des Kantons Zürich das schriftliche Verfahren an. Es setzte dem Beschwerdeführer gleichzeitig eine Frist von 20 Tagen ab Zustellung des Beschlusses, um schriftlich die Berufungsanträge zu stellen und zu begründen, unter der Androhung, dass die Berufung ansonsten als zurückgezogen gelte. Da eine Berufungsbegründung innert Frist nicht einging, schrieb das Obergericht des Kantons Zürich das Verfahren am 8. Mai 2023 als durch Rückzug der Berufung erledigt ab (E. 1).
Dem Beschwerdeführer half nicht, dass er über die Ostertage verreist war:
Angesichts seiner aus dem Prozessrechtsverhältnis fliessenden Pflicht, die Entgegennahme gerichtlicher Sendungen zu gewährleisten (BGE 141 II 429 E. 3.1; Urteil 1B_605/2021 vom 3. März 2022 E. 2.1; je mit Hinweisen), hätte er die Vorinstanz über seine ferienbedingte Abwesenheit während der Osterzeit informieren oder sonstige geeignete Vorkehrungen für die Zeit seiner geltend gemachten Ortsabwesenheit treffen müssen. Dass er solche Massnahmen für die Zustellbarkeit von gerichtlicher Post getroffen hätte, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Im Übrigen scheint er zu verkennen, dass sich eine laufende Abholfrist nicht durch einen Rückbehalteauftrag bei der Post verlängern lässt (vgl. BGE 141 II 429 E. 3.1; 134 V 49 E. 4; siehe auch BGE 123 III 492). Zudem musste das Obergericht – anders als der Beschwerdeführer meint – nicht von sich aus berücksichtigen, dass er während der Osterzeit allenfalls ferienabwesend sein könnte (Urteile 6B_758/2022 vom 9. November 2022 E. 4.2, 6B_368/2022 vom 29. Juni 2022 E. 5, 6B_940/2013 vom 31. März 2014 E. 2.2.5). Die StPO kennt, anders als das BGG, keine Gerichtsferien (Art. 89 Abs. 2 StPO) [E. 4.2].
Mich stört hier abgesehen von den Fiktionen an sich höchstens, dass die Anordnung des schriftlichen Verfahrens auch erst mit der Frist zur Begründung erfolgte, was dem Beschwerdeführer somit auch noch nicht bekannt war. Musste der Beschwerdeführer wirklich auch damit rechnen? Dafür spricht, dass es offenbar ein reines Übertretungsstrafverfahren war (Art. 406 Abs. 1 lit. c StPO). So oder so unschön.
Das ist unsäglich oder der Beschuldigte muss sich teilweise über Jahre hinweg zur Verfügung halten während die Staatsanwaltschaft Dinge über Jahre liegen lassen kann die Rechtsfolgend:
– der eine verliert alle Rechtsansprüche
– beim anderen kann man im dispositiv Feststellen die Beschleunigung is verletzt, das reicht dann auch
Ankläger und Beschuldigter sind total gleich behandelt, völlig Konventionskonform.
@John: Welche Konvention schreibt eine völlige Gleichbehandlung von Ankläger und Beschuldigten vor? Ausserdem wage ich zu behaupten, dass Art. 406 Abs. 1 StPO zwischen den Parteien (mithin Ankläger und beschuldigte Person) nicht differenziert. Die Staatsanwaltschaft ist von den gleichen Säumnisfolgen inkl. Rückzugsfiktion betroffen.