Rupperswil und die „Opferanwälte“
Nachdem sich ein Teil der Medien auf die Verteidigerin eingeschossen hat, möchte ich den Blick mit etwas Abstand auf die Opfervertreter werfen.
- Verkehrte Welt: Meistens werden die Beschuldigten von männlichen Verteidigern vertreten, insbesondere bei schweren Vorwürfen. Die Opfer wenden sich meist an Anwältinnen, was möglicherweise damit zu tun hat, dass die Opferhilfestellen lieber Frauen als Männer empfehlen, wieso auch immer. Wieso war in Rupperswil alles anders? Vielleicht weil schon vor dem Prozess klar war, auf welcher Seite man punkten konnte?
- Öffentlichkeitsarbeit der Opferanwälte: es mag ja sein, dass die Verteidigung nicht immer den richtigen Ton gefunden hat. Warum hat aber niemand die Opferanwälte kritisiert, die nach ihren eigenen Angaben teilweise nicht mehr schlafen konnten und beim plädieren von ihren Gefühlen übermannt wurden? Ist es richtig, von einer Verteidigerin professionelle Distanz zu verlangen, den Opfervertreten aber ihre emotionale Nähe anzurechnen? Wie kann man begründen, Opferanwälte aus höchstpersönlichen Briefen ihrer Klienten vorlesen zu lassen, die womöglich nicht einmal aktenkundig waren?
- Kritik an Opferanwälten: Darf man Opferanwälte überhaupt kritisieren (oder allenfalls nur Opferanwältinnen)?
Rupperswil hat meine Überzeugung vertieft, dass Opfer im Strafverfahren keinen Platz haben. Was Opfer völlig zu Recht fordern, kann ihnen der Strafprozess niemals geben. Nach dem Prozess zu beklagen es seien wieder einmal nur die Beschuldigten im Mittelpunkt gestanden, ist billig. Es geht nun mal um die Beschuldigten, die selber gerne darauf verzichten würden, im Fokus zu stehen. Die Gesellschaft will auch nicht wissen wie hoch die Genugtuungsansprüche der Opfer sind. Sie konzentriert sich darauf, die maximale Strafe zu fordern, die nie maximal genug sein kann. Offenbar ist nur die Höchststrafe geeignet, den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Der gemeinsame Ruf nach Höchststrafe und Ausgrenzung (unmenschliche Bestie) wirkt gesellschaftlich integrierend und anerkennend. Das mag erklären, warum es oft Strafgefangene sind, welche die härtesten Strafen für die Bestien verlangen.
Danke für dieses dringend nötige und absolut richtige Statement!
Wenn man auch ab und zu Opferanwalt ist, graut es einem womöglich davor, was das eigene Klientel nun für Erwartungen an einen Opferanwalt hat, nachdem es Zeuge des Spektakels zu Rupperswil wurde.
Guter Beitrag. Bin ausnahmsweise mal mit Kollege Jeker einig. 😉
@StA J. Glaus: Danke sehr. Tut ja auch mal gut.
Sehr geehrter Herr Jeker,
ich teile Ihre Meinung nicht. Die Problematik ist meines Erachtens, dass eben die Opfer in unserem Justizsystem weder von der Opferhilfe noch von der Justiz selbst richtig und gerecht entschädigt werden. Würde man Opfern wie in den USA Millionen von USD Genugtuung, Schadenersatz etc. bezahlen, dann würden eben die Opfer zwar nicht in den Vordergrund gestellt, aber immerhin zumindest finanziell entweder von den Beschuldigten oder vom Staat entsprechend entschädigt.
Klar ist, dass die eine hohe finanzielle Entschädigung natürlich die Straftat nicht ungeschehen macht, doch den Opfern wird damit zumindest medial und finanziell entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt und ein adequater Beitrag an ihren Langfristschaden geleistet. So sehe ich es!
So weit sind wir nicht auseinander. Man muss einfach ein Verfahren finden, das vom Strafverfahren losgelöst ist. Ich wünsche mir einen starken Staatsanwalt und einen (natürlich noch stärkeren) Verteidiger. Ein richtiges Zweiparteienverfahren ohne Opfer und Geschädigte.
Danke für die Antwort. Ja, verstehe, wenn die Ansprüche der Opfer/Geschädigten losgelöst vom Strafverfahren abgewickelt werden könnten und wie Sie sagen, das gerichtliche Strafverhandlung nur noch Sache zwischen Staatsanwalt, Verteidigung, Richter und natürlich Täterschaft ist. Das könnte funktionieren, um die Opfer/Geschädigten zu schützen, die ja üblicherweise bereits sehr belastende Einvernahmen über sich ergehen lassen mussten. Die Entschädigungsverhandlung könnte später ohne Oeffentlichkeit abgewickelt werden. Das Opfer/der Geschädigte hätte dann zudem die Wahl, ob es/er damit an die Oeffentlichkeit gehen will oder nicht und den ganzen Gerichtsverfahren fernzubleiben.
Ich danke Ihnen für den gelungenen Artikel. Die Pflichtverteidigerin hat ihre Distanz zum Angeklagten gewahrt, was bei den Opferanwälten weniger der Fall ist. Und man kann sich durchaus fragen, ob gewisse Opferanwälte – vor allem was die „Mediengeilheit“ betrifft – nicht zu weit gegangen sind. Leider wurde dies von den Medien nicht thematisiert.
a) bester Artikel zu Rupperswil in den letzten Monaten
b) bester politischer Artikel auf diesem Blog seit langem
@Anonymous; Herzlichen Dank.