Sanktionenrecht: Berücksichtigung neuer Strafverfahren?

Die beschwerdefreudige Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft unterliegt erneut vor Bundesgericht (BGer 6B_488/2011 vom 27.12.2011). Diesmal beanstandete sie die Strafzumessung und die Gewährung des bedingten Strafvollzugs. Für beide Fragen wollte sie berücksichtigt wissen, dass gegen den Beschuldigten ein neues Verfahren in einem anderen Kanton eröffnet wurde. Die Vorinstanz hatte die entsprechenden Akten aus dem Recht gewiesen (!).

Das Bundesgericht differenziert zwischen Strafzumessungs- und Vollzugsfragen. Es hält fest, dass ein neues Verfahren bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden darf:

Die Strafzumessung erfasst das gegenwärtig zu beurteilende Delikt und das damit in Zusammenhang stehende Nachtatverhalten. Tatvorwürfe, welche Gegenstand eines anderen Verfahrens sind, darf der Richter aufgrund der Unschuldsvermutung und des Doppelbestrafungsverbots nicht in die Strafzumessung einbeziehen. Insoweit geht die Rüge der Beschwerdeführerin fehl, wonach die Akten des Kantons Luzern hinsichtlich des (anderweitigen deliktischen) Nachtatverhaltens bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien (E. 3.3).

Zulässig kann indessen sein, ein neues Verfahren bei der Beurteilung der Legalprognose zu beachten:

In die Prognosebeurteilung einfliessen dürfen die in einem hängigen Strafverfahren zugegebenen Tatsachen (Urteile 6B_882/2009 vom 30. März 2010 E. 2.6; 6B_459/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 1.2; 6P.31/2003 vom 8. August 2003 E. 1.3; z.T. mit Hinweisen) und auch eingestellte Strafverfahren, welche Schlüsse auf das Vorleben und den Charakter eines Täters zulassen (Urteil 6P.47/2004 vom 6. Oktober 2004 E. 6.2). Nichts anderes kann aus dem Urteil 6B_1017/2008 vom 24. März 2009 abgeleitet werden. Im konkreten Fall stellte der Richter auf den blossen Umstand eines anderen Ermittlungsverfahrens ab, wodurch die Unschuldsvermutung verletzt war. Dies bedeutet indessen nicht, dass der Beizug von Akten hängiger Verfahren grundsätzlich unzulässig wäre (E. 4.3).