Schleichende Aufhebung des Anwaltsgeheimnisses
Eine Anwaltskanzlei, welche der Staatsanwaltschaft die edierten Unterlagen versiegelt herausgibt, kann offenbar nicht mehr darauf vertrauen, dass sich eine richterliche Behörde auf Antrag oder von Amts wegen um das Berufsgeheimnis kümmert.
In einem aktuellen Entscheid ist das Bundesgericht nicht einmal mehr auf eine Beschwerde eingetreten (BGer 1B_349/2019 vom 13.03.2019). Es beruft sich dabei auf die Substantiierungspflicht (das Bundesgericht spricht von “substanziieren”), welche verletzt worden sein soll:
In der Beschwerdeschrift wird (zur Begründung des Gesuches um aufschiebende Wirkung) zwar noch beiläufig und pauschal vorgebracht, eine Entsiegelung der edierten Unterlagen komme nicht in Frage, da diese dem Anwaltsgeheimnis unterstünden. Damit wird hier jedoch – im Lichte der oben dargelegten Praxis – kein drohender nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil ausreichend substanziiert, zumal die Beschwerdeführer nicht darlegen, inwiefern das Anwaltsgeheimnis im vorliegenden (relativ komplexen) Zusammenhang tangiert wäre. Der Beschwerdeführer 1 ist im übrigen selbst mitbeschuldigt, weshalb er sich nicht auf das Berufsgeheimnis als Entsiegelungshindernis stützen kann (vgl. Art. 264 Abs. 1 lit. c-d StPO). Bei der Beschwerdeführerin 2 handelt es sich um eine juristische Person. Sie legt ebenfalls nicht dar, inwiefern sie sich selber auf das Berufsgeheimnis der Anwältinnen und Anwälte (als Editions- und Durchsuchungshindernis) stützen könnte. Sein materielles Vorbringen, es bestehe kein hinreichender Tatverdacht einer Straftat, kann der Beschwerdeführer 1 nötigenfalls noch bis zum Abschluss des Strafverfahrens der Strafbehörde unterbreiten, welche den Endentscheid fällen wird (E. 2, Hervorhebungen durch mich).
Ich überlege mir, wie ich begründen würde, dass die Unterlagen einer Anwaltskanzlei geheimnisgeschützt sein könnten. Mir fällt aber gerade nichts ein, was sich nicht bereits aus den Umständen ergeben würde oder was nicht seinerseits eine Berufsgeheimnisverletzung darstellen würde. Möglicherweise müsste ich ausführen, dass die Anwaltskanzlei nicht nur Mischmandate führt.
Wofür ich aber überhaupt kein Verständnis habe: wieso führte der kantonale Zwangsmassnahmenrichter nicht einmal eine Triage durch? Wäre er da nicht sogar von Amts wegen verpflichtet gewesen? Oder hat er sich einfach darauf verlassen, dass das Bundesgericht seinen Entsiegelungsentscheid schützt?
Ein wichtiger Hinweis wurde nicht fett hervorgehoben: “Der Beschwerdeführer 1 ist im übrigen selbst mitbeschuldigt, weshalb er sich nicht auf das Berufsgeheimnis als Entsiegelungshindernis stützen kann (vgl. Art. 264 Abs. 1 lit. c-d StPO).” Damit war offenbar der Anwalt selber (mit-)beschuldigt. Dann selbstverständlich wäre zu substanziieren gewesen, weshalb die Unterlagen doch nicht (aus einem anderen Grund?) durchsucht werden dürften. Wenn ein Anwalt beschuldigt ist, bleibt m.E. kein Raum, dass sich die Anwaltskanzlei als juristische Person ihrerseits auf 263 I c berufen kann (nur der einzelne Anwalt ist Geheimnisträger, nicht bzw. nicht auch die Kanzlei).
Das Anwaltsgeheimnis schützt aber nicht nur den Anwalt, sondern v.a. auch dessen Klienten. Deren Schutz entfällt nicht, nur weil ein Verfahren auch gegen den Anwalt geführt wird. Dass die Kanzlei nicht (auch) Geheimnisträgerin sein soll, glaube ich nicht.