Schuldprinzip auch im Strassenverkehrsstrafrecht
Das Bundesgericht kassiert einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern und erinnert daran, dass das Schuldprinzip auch im Strassenverkehrsrecht Ernst zu nehmen ist (BGer 6B_622/2009 vom 23.10.2009). Trotz Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit innerorts um 29 km/h liegt im vorliegenden Fall gemäss Bundesgericht keine grobe Verletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG vor.
Die Geschwindigkeitssignalisation von 60 km/h im Ortsteil Alfermée besteht seit dem 14. Dezember 2006 infolge Bauarbeiten und definitiv seit dem 31. Mai 2007. Die Geschwindigkeitsbeschränkung bildet Teil der kurzfristigen Massnahmen des Verkehrsberuhigungskonzepts N5 linkes Bielerseeufer (…). Die Signalisation von 60 km/h befindet sich nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz 200 m vor der fixen Geschwindigkeitsmessanlage und ist kombiniert mit dem Signal „Ortsbeginn auf Hauptstrassen“. Unmittelbar vor der Geschwindigkeitsmessanlage befindet sich eine zusätzliche Wiederholung der Geschwindigkeitssignalisation. Die Vorinstanz schloss daraus, dass eine wiederholte und gut sichtbare Signalisation der zulässigen Geschwindigkeit von 60 km/h vorlag.
Es fällt vorliegend ins Gewicht, dass die Vorinstanz sich dabei nicht mit der Gefährlichkeit der vom Beschwerdeführer gefahrenen Geschwindigkeit auseinandergesetzt hat. Das Verhalten des Beschwerdeführers ist unter Würdigung der gesamten Umstände lediglich als pflichtwidrig unachtsam und nicht als rücksichtslos einzustufen. Angesichts der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist der betreffende Strassenabschnitt der N5 gut ausgebaut und übersichtlich, es herrschten gute Sicht- sowie Lichtverhältnisse, und die Strasse war trocken. Ein klassisch rücksichtsloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern, wie die Vorinstanz ausführte (…), kann in der Fahrt des Beschwerdeführers somit gerade nicht erblickt werden. Zwar fuhr dieser in der 400 m langen 60 km/h-Zone innerorts deutlich zu schnell, angesichts des Ausbaustandards der Strasse, der optischen Erscheinung als Ausserortsstrecke, was der Regierungsrat des Kantons Bern 1995 explizit festgestellt hatte (…), sowie der idealen Sicht- und Witterungsverhältnisse und des geringen Verkehrs hat der Beschwerdeführer aber kein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung offenbart. Der vorinstanzliche Entscheid verletzt damit Art. 90 Ziff. 2 SVG und ist aufzuheben (E. 3.5).
Das Bundesgericht bezog sich auf BGer 6B_109/2008 vom 13.06.2008 (E. 3.1), den auch die Vorinstanz zitiert hatte. Diese hatte aufgrund der Umstände des Einzelfalls aber trotzdem auf eine grobe Verkehrsregelverletzung erkannt. Der Beschwerdeführer liess sich im Verfahren vor Bundesgericht übrigens nicht vertreten.