Schweigende Angeklagte, redende Richter
Auf eindringlichen Wunsch sage ich jetzt halt auch mal was zum Strafverfahren gegen Jugendliche aus der Schweiz in München.
In den letzten Tagen wurde immer wieder die offenbar unerfahrene Verteidigung kritisiert, die ihren jugendlichen Mandanten zu schweigen empfohlen hatte (s. etwa hier). Offenbar hat auch das zuständige Gericht offen seinen Unmut über diese Strategie geäussert. Meine Meinung dazu:
Zur Verteidigungsstrategie: schlüssige Aussagen sind schlicht und einfach nicht zulässig. Wer die Verteidiger kritisiert tut dies, ohne die Akten zu kennen und ohne die möglicherweise völlig richtige Strategie zu kennen. Ich selbst habe aus Respekt vor der Reaktion des Gerichts und der veröffentlichten Meinung schon mehrfach empfohlen, nicht zu schweigen. Gelohnt hat es sich meistens nicht, bei Laien (s. meinen letzten Beitrag) noch gar nie.
Zum Gericht: es ist grundsätzlich sicher nicht Aufgabe des Gerichts, die Verteidigungsstrategie zu hinterfragen. Ist sie aus seiner Sicht aber offensichtlich falsch, hat es seine Fürsorgepflicht gegenüber den Angeklagten wahrzunehmen und Massnahmen zu treffen. Dazu gehört mit Sicherheit nicht, öffentlich Kritik an der Verteidigung zu üben. Solches schafft den Anschein der Befangenheit des Gerichts. Man stelle sich nur einmal die Angeklagten vor, die nach einem langen Verhandlungstag aus der Presse erfahren, dass das Gericht ihr Schweigen kritisiert. Möchten Sie von einem solchen Gericht beurteilt werden?
Zu den Medien: bezüglich der Medienberichterstattung sind grösste Vorbehalte angebracht. Sie erfolgt jedenfalls in der Schweiz mit wenigen Ausnahmen wie fel. durch Reporter, die über keine juristische Ausbildung verfügen. Den Sachverhalt kennen die Berichterstatter meistens nicht oder nur aus der Presse. Oft genug haben sie nicht einmal eine journalistische Ausbildung. Ich habe schon mehrfach Berichte über “meine” Prozesse erlebt, in denen nicht einmal das Prozessthema richtig umschrieben wurde.
Zur Verteidigungsstrategie:
1979 liess der Politikwissenschaftler Robert Axelrod 14 Wissenschaftler gegeneinander antreten und das “Gefangenendilemma” 200 Runden lang spielen, um die beste Strategie herauszufinden.Das Ergebnis: 1. Kooperiere in der 1. Runde mit Deinem Komplizen. 2. Tu in der zweiten Runde das, was dein Komplize in der vorigen Runde getan hat.
Zum Gericht:
Verhandelt wird vor Gerichtsbarkeit des Freistaates Bayern. Dieses wird ein hartes Urteil Richtung oberer Strafrahmen fällen; der Gang in die nächste Instanz ist im Grunde schon absehbar.
Insofern ist die Verteidigungsstrategie auch für aussenstehende Nicht-Juristen schon verständlich.