Schwierige Entsiegelungsrechtsprechung
Entsiegelungsentscheide können (nur) direkt beim Bundesgericht angefochten werden. Damit das Bundesgericht überhaupt eintritt, ist ein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur zu begründen.
Dies sollen die Beschwerdeführerinnen missachtet haben (BGer 1B_495/2019 vom 29.11.2019):
Die Beschwerdeführer machen zwar geltend, durch die Entsiegelung würden Aussenstehende Einblick in ihre Bankunterlagen erhalten, was einen Eingriff in ihre verfassungsrechtlich geschützte Geheimsphäre darstelle. Das liegt indessen in der Natur der Sache und trifft auf jede Entsiegelung zu. Die Beschwerdeführer begründen mit keinem Wort, dass und weshalb der Entsiegelung ihrer Unterlagen geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen. Sie beschränken sich vielmehr im Wesentlichen darauf, den dringenden Tatverdacht zu bestreiten um damit darzutun, dass eine Beschlagnahme dieser Unterlagen rechtswidrig wäre. Das geht indessen an der Sache vorbei, im Entsiegelungsverfahren ist einzig zu prüfen, ob die sichergestellten Unterlagen „wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen“ (Art. 248 Abs. 1 StPO; BGE 144 IV 74 E. 2.2 S. 77; 141 IV 77 E. 4.1 S. 80 f.). Da die Beschwerdeführer nicht oder jedenfalls nicht substantiiert dartun, dass vorliegend geschützte Geheimhaltungsrechte bestehen und ihnen deswegen durch die Entsiegelung ein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur droht, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (E. 1.2, Hervorhebungen durch mich).
Das ist nicht leicht zu verstehen. Die Lösung steht in E. 1.1:
Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann. Beruft sich der Betroffene dagegen auf andere Gründe, aus denen die Entsiegelung unzulässig sein soll, wie etwa Beschlagnahmehindernisse oder Nichtverwertbarkeitsgründe, droht ihm in der Regel kein nicht wiedergutzumachender Nachteil, weil er die Unverwertbarkeit dieser Beweismittel vor dem Sachrichter geltend machen kann (zum Ganzen Urteile 1B_351/2016 vom 16. November 2016 E. 1.3 und 1.4; 1B_273/2015 vom 21. Januar 2016 E. 1.3; vgl. auch BGE 141 IV 289 E. 1.2 f. S. 291 f.) [E. 1.1, Hervorhebungen durch mich].
Das erklärt nun aber nicht, wieso hier ein nicht wieder gutzumachender Nachteil verneint wurde. Die Beschwerdeführerin hatte ja ausdrücklich mit dem Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Geheimsphäre argumentiert. Ich verstehe es nicht.
Nicht verstehen? Wie wäre es mit einem Ansatz beim Rügeprinzip?
Der Bf. hat zwar in allgemeiner Form gerügt, dass ein Eingriff in seine geschützte Privatsphäre vorliegt. Der Bf. hat es offenbar unterlassen, ausreichend substantiiert zu rügen, weshalb der konkrete Eingriff konkret seine Geheimhaltungsinteressen bedroht. Er scheint nur mit dem fehlenden Tatverdacht zu argumentieren.
Es wäre halt zu rügen gewesen, weshalb durch den Eingriff konkrete Geheimhaltungsinteressen verletzt werden, namentlich weshalb das, was aus den Bankakten hervorgeht, den Staatsanwalt und akteneinsichtsberechtigte einerseits nichts angehen und zweitens in die Geheimsphäre des Bf. eingreifen.
Ohne Lektüre der Beschwerde ist aber kein abschliessendes Bild möglich. Auch das Bger. liest in Beschwerden gelegentlich nur das, was gerade mag.
Es entzieht sich einmal mehr meiner Logik, was an diesen Erwägungen nicht zu verstehen ist, aber dafür muss man wahrscheinlich Strafverteidiger sein. Um es kurz zu machen (und das müsste dem geneigten Leser eigentlich die Augen öffnen): das Bankkundengeheimnis wird grundsätzlich durch das Ermittlungsinteresse derogiert, will heissen, sich als Beschuldigter (und selbstredend nur, um die Wahrheitsfindung aufzuhalten) auf sein Bankkundengeheimnis als verfassungsmässig geschützte Geheimsphäre zu berufen, ist schlicht und einfach dumm, weil gerade jene dem in der StPO kodifizierten Interesse des Gesetzgebers an der Strafverfolgung ex lege nicht entgegensteht! Also: der blosse Einwand des Beschuldigten darauf, die Behörden dürften seine Kontobewegungen nicht einsehen, weil dies seine Geheimsphäre tangiere, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Zurecht!
@Peter Keiler: Danke für Ihren Kommentar, auch wenn er gelinde gesagt unangemessen und zudem auch noch falsch ist. Es ging hier ja nicht um StPO 248, sondern um BGG 93. Das Bundesgericht hat daher nicht abgewiesen, es ist vielmehr nicht eingetreten. Den Unterschied kennen Sie bestimmt.
In StPO 248 geht es um „Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen.“ Unter die anderen Gründe könnte das Bankkundengeheimnis als gesetzlich geschütztes Geheimnis je nach Fallkonstellation durchaus fallen, oder nicht?
Bevor Sie jetzt wieder anonym über mich und die Strafverteidiger herziehen: welchen ehrenwerten Beruf üben Sie selbst aus?
Rabian:
Nein, der Beschwedeführer hat die Bankunterlagen erwähnt, das ist konkret genug. Das Gericht sagt selbst, deren Geheimhaltung liege in der Natur der Sache. Es kann sich deshalb, wie schon kj bemerkt, nicht mehr darauf berufen, die Rüge sei nicht ausreichend dargetan.
Und ja, Bankunterlagen sind immer von Gesetzes wegen besonders scharf geschützt. Das ist nicht nur in allen Rechtsstaaten so, sondern die Schweiz geht hier sogar noch weiter als viele andere.
Bankgeheimnis, Revisorengeheimnis, Treuhändergeheimnis, sind offenkundig keine strafprozessual geschützten Geheimnisse (Art. 171 StPO). Deswegen konnte man vorliegend auch gar keine Geheimnisse geltend machen. Das wussten die involvierten Zürcher Anwälte (Sprenger, Knodel) auch ganz genau.
Doch darum geht es auch gar nicht: Die betroffene Person bzw. ihre Offshoregesellschaft standen wahrscheinlich dem Beschuldigten nahe, bzw. hatten allenfalls etwas mit dem Geldabfluss aus den illegalen Waffengeschäften zu tun.
Entsprechend konnte die beschuldigte Person letztlich EINEINHALB JAHRE lang (Sicherstellungen waren im Mai 2018) das Verfahren obstruieren, indem er/sie ohne gesetzlich geschützte, strafprozessuale Geheimnisse den Zugang zu Akten verhinderte.
Insofern waren die Verteidiger vorliegend trotzdem erfolgreich. Erfolgreich darin, eine Strafuntersuchung gegen illegale Waffenschiebereien zu sabotieren. Da können Politiker noch so lange Gesetze dagegen machen.
Frohe Weihnachten!
@Verfassungsrechtler: Ach wäre die Welt so einfach!
Verfassungsrechtler:
Artikel 171 StPO „Aussageverweigerungsrecht aufgrund eines Berufgeheimnisses“ enthält nicht einen Katalog von materiellen Siegelungskriterien, sondern bestimmt das Aussageverweigerungsrecht von Ausübern bezeichneter Berufe und ihrer Hilfspersonen auf Grund eines Berufsgeheimnisses. Letzteres war nach meinem Verständnis hier nicht Prozessthema.
PK:
“ das Bankkundengeheimnis wird grundsätzlich durch das Ermittlungsinteresse derogiert“. Link?
KJ:
Link zum Urteil? – Danke, frohe restliche Festtage und ein erfüllendes neues Jahr wünsche ich Ihnen. Und, wie ich sehr hoffe, machen Sie weiter so in Ihrem wunderbaren Blog!
@Pirmin Dorset: Den Link habe ich nachgetragen und mein Dank gehört Ihnen für die ausserordentlich gehaltvollen Beiträge. Happy New Year!
@Pirmin Dorset:
Bundesgerichtsurteil 1B_85/2016, E. 7.9:
[…] Auch das Bankgeheimnis oder allgemeine Geschäftsgeheimnisse der Bank bieten gegen gesetzmässige strafprozessuale Zwangsmassnahmen wie Editionen und Entsiegelungen grundsätzlich keinen Schutz. […]
Das Bankgeheimnis war im vorliegenden Fall deswegen relevant, weil es um die Bankkontoauszüge bzw. die Bankunterlagen dieser O. Ltd. ging, welche von der Bundesanwaltschaft im Mai 2018 ediert worden sind. Da steht primär das private Interesse des Bankkunden an der Geheimhaltung (=Bankgeheimnis) im Vordergrund.