Seriefeuer: Das Obergericht Aargau schiesst sich ins eigene Knie

Das Bundesstrafgericht hat heute 18 (achtzehn) Beschwerdeentscheide gegen Honorarkürzungen des Obergerichts des Kantons Aargau publiziert. Alle 18 Beschwerden wurden unter Kosten- und Entschädigungsfolgen mindestens teilweise gutgeheissen.

Das Obergericht Aargau erweckt den Eindruck, systematisch und systematisch auf Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtsvertretungen Bundesrecht zu verletzen. In einem der Entscheide bringt das Bundesstrafgericht seine Sorge ausführlich und unmissverständlich zum Ausdruck (BStGer BB.2020.165 vom 28.06.2022 E. 4). Hier ein Auszug (wirklich nur ein Auszug):

Schliesslich ist in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, dass von einschlägigen Honorarverfahren vor der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts weit überdurchschnittliche viele auf Entscheidungen der Strafkammer des Aargauer Obergerichts zurückgehen. In den letzten gut fünf Jahren (seit 01.01.2017 bis 10.06.2022) sind beim Bundesstrafgericht aus allen 26 Kantonen 115 Beschwerden gegen die kantonale Festsetzung des Honorars der amtlichen Verteidigung erhoben worden; davon entfallen 33 auf die Strafkammer des Obergerichts Aargau. Die Strafkammer hat bei vielen Gelegenheiten Hinweise darauf gegeben, dass sie die anwaltlichen Entschädigungen für hoch oder zu hoch erachtet, so zum Beispiel sogar in Dispositiven mit Anweisungen an die erstinstanzliche Gerichtskasse, «dem unentgeltlichen Rechtsbeistand die von der Vorinstanz festgesetzte, sehr hoch erscheinende und im Berufungsverfahren unangefochten gebliebene Entschädigung auszurichten (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_1299/2018 vom 28. Januar 2019 E. 2.3 f.)». Sie hat auch die Bereitschaft, anwaltliche Honorare nur in Bruchteilen der geltend gemachten Summe zu vergüten, mehrfach unter Beweis gestellt. Die Strafkammer setzt damit möglicherweise einen circulus vitiosus mangelnden Vertrauens in Gang: Die Verteidigung, die damit rechnet, nur für einen Teil oder gar Bruchteil ihrer Forderung entschädigt zu werden, wird motiviert, zu viel in Rechnung zu stellen, um im Ergebnis nach der zu erwartenden Kürzung durch die Strafkammer noch angemessen für ihren notwendigen Aufwand entschädigt zu werden. Ist das Vertrauen einmal zerstört, ist es erfahrungsgemäss nur schwer wiederherzustellen. Eine andere Konsequenz könnte die folgende sein: Ein Anwalt, eine Anwältin, die mit willkürlichen Kürzungen ihrer ausgewiesenen Honorarforderungen rechnen müssen, könnten versucht sein, das Kostenrisiko so gering wie möglich zu halten, indem sie in ein amtliches Mandat so wenig Aufwand wie möglich investieren. Solches dürfte aber in Widerspruch zu ihren Berufspflichten stehen und auch dem Anspruch der amtlich verteidigten Beschuldigten auf angemessene Verteidigung nicht genügen. Das Gericht darf die Anwaltschaft dieser Versuchung nicht aussetzen (E. 4.3).

Meiner Meinung nach bringt das Obergericht mit seiner Praxis zum Ausdruck, dass es insbesondere den Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV) nicht erfüllen kann.