Siegelung: Alles oder nichts?

Offenbar reicht der “Anfangsverdacht” der Begehung einer Straftat, beliebig nach Beweismitteln für weitere mögliche Straftaten zu “fischen”. So jedenfalls verstehe ich ein heute im Internet publiziertes Urteil des Bundesgerichts (BGer 1B_414/2013 vom 29.04.2014).

In der Sache geht es um ein MWST-Strafverfahren gegen eine Aktiengesellschaft nach VStrR. Die Rechtsvorgängerin (!)  der Aktiengesellschaft steht im Verdacht, Kunstwerke zu Unrecht mehrwertsteuerfrei im Rahmen des Verlagerungsverfahrens eingeführt zu haben. Im Rahmen von Hausdurchsuchungen wurden zur Beweissicherung u.a. Festplatten gespiegelt. Darin, dass ein grosser Teil der elektronischen Unterlagen mit dem konkreten Tatverdacht nichts zu tun haben, sehen die Gerichte inkl. Bundesgericht kein Problem. .

Entgegen der Forderung der Beschwerdeführerin können nicht einzelne Teile der Geschäftsunterlagen ausgesondert und damit von der Entsiegelung und Durchsuchung ausgenommen werden. Die Strafuntersuchung betrifft nicht ausschliesslich die Kundenbeziehungen der Beschwerdeführerin zu F und weiteren namentlich genannten Kunden, sondern auch zu allfälligen weiteren, noch unbekannten Kunden. Es steht daher keineswegs von vornherein fest, dass Dokumente oder Dateien für das Strafverfahren ohne Belang sind, nur weil sie keinen erkennbaren Bezug zu F oder den weiteren namentlich genannten Kunden aufweisen. Das Gleiche gilt auch für die von der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme einzeln bezeichneten Dateien und Dokumente. Einzig anhand der (teilweise für Aussenstehende ohnehin nichtssagenden) Titel der Dateien lässt sich keineswegs von vornherein ausschliessen, dass sie für die Untersuchung benötigt werden. Nicht zu beanstanden ist auch, dass Dokumente sichergestellt wurden, die aus der Zeit vor dem mutmasslichen Deliktszeitraum (2007 – 2013) stammen, können sich doch auch daraus für die Strafverfolgung relevante Erkenntnisse ergeben, beispielsweise etwa darüber, ob bei der Abwicklung der zu untersuchenden Einfuhren von Kunstwerken Dritter ab 2007 plötzlich markante, potenziell verdächtige Änderungen auftraten oder nicht (E. 3.3).

Ein Anfangsverdacht in Bezug auf ein konkretes Delikt hebt damit jeden Schutz vor fishing expeditions in Bezug auf allfällige weitere Delikte auf. Die mühsamen Triageverfahren erweisen sich damit als obsolet. Ob das die Meinung des Verfassungsgebers war, wage ich zu bezweifeln.

Dass die beschuldigte und beschwerdeführende Aktiengesellschaft Rechtsnachfolgerin einer Kommanditgesellschaft ist, hat das Bundesgericht offenbar nicht interessiert. Wahrscheinlich gibt es im Strafrecht nun doch so etwas wie Universalsukzession.