Siegelungsantrag: Erweiterte Legitimation
Das Bundesgericht kommt in einem sorgfältig begründeten Urteil (BGE 1B_231/2013 vom 25.11.2013, Publikation in der AS vorgesehen) zum Schluss, nicht nur der Gewahrsamsinhaber, sondern auch der “Geheimnisschutzberechtigte” sei dazu legitimiert, einen Siegelungsantrag nach Art. 248 Abs. 1 StPO zu stellen.
Aus Art. 264 Abs. 3 StPO ergibt sich demnach, dass die Befugnis, sich gegen eine Durchsuchung von Aufzeichnungen zu wehren, über den Kreis der Gewahrsamsinhaber hinausgeht und auch Personen erfasst, die unabhängig der Besitzverhältnisse ein rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Unterlagen haben können. Zum Zweck eines wirksamen Geheimnisschutzes ist das Recht auf Siegelung gemäss Art. 248 Abs. 1 StPO daher auf die Berechtigung, sich nach Art. 264 Abs. 3 StPO gegen eine Beschlagnahme zu wehren, abzustimmen (E. 4.3.4).
Diese Abstimmung ergibt:
Würde man die Befugnis, die Siegelung zu verlangen, auf den Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft beschränken, so wäre – wenn es sich nicht zugleich um einen Geheimnisschutzberechtigten handelte – ein hinreichender Rechtsschutz kaum gewährleistet. Hätte der Inhaber kein Siegelungsinteresse, so käme es gar nicht bzw. erst im Zuge einer Beschlagnahme und damit möglicherweise zu spät (vgl. E. 4.3.4 hiervor) zu einem Entsiegelungsverfahren. Selbst wenn der Inhaber der Sachherrschaft aber die Siegelung verlangen würde, könnte er gegen eine Entsiegelung trotz nicht wieder gutzumachendem Nachteil für den Geheimnisschutzberechtigten nicht mit strafrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gelangen, sofern ihm selbst nicht auch ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG drohen würde. Der Geheimnisschutzberechtigte wäre ebenfalls nicht beschwerdebefugt, da er am vorangehenden Verfahren nicht beteiligt gewesen wäre bzw. werden musste (Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG). Diese Konsequenzen sind nach Möglichkeit zu vermeiden (E. 4.3.6).
Im selben Entscheid führt das Bundesgericht auch aus, dass es im Hinblick auf die Begründungspflicht nicht ausreicht, wenn der erforderliche Tatverdacht im Entsiegelungsgesuch lediglich durch Verweis auf die Akten (hier auf eine als mangelhaft zurückgewiesene Anklageschrift) begründet werde:
Ein Entsiegelungsgesuch ist zu begründen. Zur Darlegung eines hinreichenden Tatverdachts muss ein Sachverhalt ausreichend detailliert umschrieben werden, damit eine Subsumption unter einen oder allenfalls (auch alternativ) unter mehrere Tatbestände des Strafrechts überhaupt nachvollziehbar vorgenommen werden kann. Hierzu müssen ausreichende Beweismittel oder Indizien angegeben und vorgelegt werden, die diesen Sachverhalt stützen. Ein bloss pauschaler Hinweis auf eingereichte Akten reicht nicht aus (E. 6.4).
Geht es um Akten eines Berufsgeheimnisträgers geht die Begründungspflicht noch deutlich weiter:
Im Entsiegelungsgesuch für Aufzeichnungen eines Berufsgeheimnisträgers muss durch die Strafbehörde zudem aufgezeigt werden, inwiefern eine Durchsuchung vor dem Anwaltsgeheimnis standhält, in welchem Ausmass der Anwalt selbst in die untersuchten strafbaren Vorgänge verwickelt sein könnte und warum die Akten für die Untersuchung relevant sein sollen (vgl. Keller, a.a.O., Art. 248 N. 39 f.) [E. 6.4].
Nur kurz, aber immerhin positiv, äussert sich der Entscheid zur Frage, ob bei der Prüfung des Tatverdachts Prozesshindernisse zu prüfen seien:
Stellt sich die Frage, ob Prozesshindernisse wie die Verjährung einem Strafverfahren entgegenstehen, ist bei der Abklärung des hinreichenden Tatverdachts eine summarische Prüfung vorzunehmen. Steht mit grosser Wahrscheinlichkeit fest, dass ein Delikt verjährt ist, erweist sich die Anordnung von Zwangsmassnahmen als nicht gerechtfertigt (Markus Hug, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, Art. 197 N. 9). Die letzte dem Beschwerdegegner in der Anklageschrift vom 15. Dezember 2009 vorgeworfene Tathandlung datiert vom 16. Mai 2006. Die absolute Verjährungsfrist beträgt sieben Jahre (vgl. Art. 23 UWG i.V.m. Art. 97 Abs. 1 lit. c StGB), womit die Verjährung mutmasslich am 16. Mai 2013 eingetreten ist. Dies wird von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten (E. 6.5).
Eine Erklärung, wie dieser Kreis überhaupt festzustellen sei, ohne die gesiegelten Unterlagen eingesehen zu haben, bleibt uns das Bundesgericht allerdings schuldig. Vielleicht über einen Aufruf mit Publikation der Sicherstellung im Amtsblatt?
Das wäre ja genau der Grund, warum von der gesetzlichen Konzeption her die Siegelung nur durch den Inhaber, die Beschlagnahme aber dann durch einen weiteren, allenfalls erst nachträglich festgestellten Kreis – in einem der Siegelung analogen Verfahren, aber eben nicht einem Siegelungsverfahren! – angefochten werden kann.
Warum hier von der an sich klaren und wie mir scheint zumindest für einmal durchdachten gesetzlichen Regelung abgewichen wird, erschliesst sich mir nicht wirklich.