Siegelungsrecht nach VStrR

Nach der aktuellen (von den Strafverfolgern nicht geliebten und auch nicht immer umgesetzten) Rechtsprechung des Bundesgerichts sind nebst dem Inhaber auch andere Personen, welche ein rechtlich geschütztes Interesse an den Unterlagen oder der Geheimhaltung des Inhalts hätten, legitimiert, die Siegelung zu verlangen (BGE 140 IV 28). Sollen hingegen Aufzeichnungen nach Art. 50 Abs. 3 VStrR durchsucht werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts nur der eigentliche Inhaber der Aufzeichnungen berechtigt (BStGer BE.2015.13 vom 01.03.2016).

Der Rechtsschutz der geschützten Dritten hängt demnach u.a. davon ab, ob seine Unterlagen nach StPO oder nach VStrR durchsucht werden sollen, was bisweilen ja auch nicht so klar ist.

Bei Vorliegen einer Regelung im VStrR können deshalb nicht explizit übernommene Regelungen der StPO nicht einfach über die Rechtsprechung eingeführt werden, einfach weil sie richtiger oder der abstrakten Interessenlage adäquater erscheinen (—). Anders als für andere Bereiche (…) hat der Bundesgesetzgeber für die Durchsuchung von Papieren nicht einfach auf die Art. 246 ff. StPO verwiesen. Mit Bezug auf Art. 50 VStrR hielt das Bundesgericht selbst fest, dass der Gesetzgeber bei Erlass der StPO keine Anpassung von Art. 50 VStrR an Art. 248 Abs. 2 StPO (20-Tages-Frist für Entsiegelungsgesuche) vorgenommen habe, weshalb diese Frist keine Geltung habe (Urteil des Bundesgerichts 1B_672/2012 vom 8. Mai 2013, E. 3.1). Der Gesetzgeber hat überdies bei einer weiteren Anpassung sowohl des VStrR als auch der StPO durch das Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Anpassung von verfahrensrechtlichen Bestimmungen zum anwaltlichen Berufsgeheimnis (BBl 2011 S. 8181) Art. 50 VStrR in der damaligen und bisherigen Form belassen, obschon er in Art. 46 Abs. 3 VStrR ein Beschlagnahmeverbot für Anwaltsunterlagen ins Gesetz aufgenommen hat. Eine analoge Anwendung der StPO Regelung fällt somit für die vorliegende Fragestellung ausser Betracht, weil das VStrR in Art. 50 die Durchsuchung von Papieren abschliessend regelt. Für das Verwaltungsstrafverfahren fehlt es entsprechend an einer Bestimmung wie den Art. 264 Abs. 1 und Abs. 3 StPO. Aufgrund des zuvor Aufgeführten wird klar, dass es sich dabei weder um ein Versehen noch um eine Lücke noch in Anbetracht des klaren Wortlauts von Art. 50 Abs. 3 VStrR („Inhaber“, „détenteur“, „detentore“) um eine blosse Auslegungsfrage handelt. Damit ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, wonach nur der eigentliche Inhaber der Aufzeichnungen legitimiert ist, die Siegelung zu verlangen (…) [e. 2.3].

Dass diese Rechtsprechung wohl nicht ganz kohärent sein kann, belegt die nachfolgende Erwägung. Dort anerkennt das Bundesstrafgericht die Problematik um die geschützten Berufsgeheimnisse zwar an. Es „löst“ sie aber, indem die Behörde, vor welchen die Informationen zu schützen sind, selbst dafür sorgen soll, dass sie nicht zu viel erfährt:

Dies hat freilich zur Konsequenz (siehe auch den im gleichen Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Entscheid der Beschwerdekammer BE.2015.6 vom 29. Februar 2016, E. 2.6), dass im vorliegenden Fall offensichtlich schützenswerte Berufsgeheimnisse, konkret Arztgeheimnisse, gewahrt werden müssen. Indessen muss die Strafverfolgungsbehörde dies ohnehin von Amtes wegen berücksichtigen (…), und zwar im Rahmen ihres Beschlagnahmeentscheides. Die Behörde muss dabei Geheimnisse wie das Arztgeheimnis mit geeigneten Massnahmen schützen und deren Kenntnisnahme durch Dritte oder durch sich selbst, soweit dies möglich ist, verhindern. Dieser Grundsatz gilt auch für die Beschlagnahme im Verwaltungsstrafrecht (…), auch wenn darin anders als in Art. 264 Abs. 1 lit. c und d StPO kein ausdrückliches generelles Beschlagnahmeverbot für Unterlagen, die einem qualifizierten Berufsgeheimnis unterliegen, statuiert wird. Immerhin ist mit dem Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die erwähnte Anpassung von verfahrensrechtlichen Bestimmungen zum anwaltlichen Berufsgeheimnis mit Art. 46 Abs. 3 VStrR ein Beschlagnahmeverbot für Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr einer Person mit ihrem Anwalt ins Gesetz aufgenommen worden. Die Pflicht zur Geheimniswahrung ergibt sich für das Verwaltungsstrafrecht aber einerseits ohnehin aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip – das eine Güterabwägung zwischen den Interessen der Strafverfolgung und Geheimhaltungsinteressen gebietet – andererseits auch aus dem Wortlaut von Art. 50 Abs. 2 VStrR, wonach bei der Durchsuchung Geheimnisse u. a. der Ärzte zu wahren sind. Das Beschlagnahmeverbot für Akten bzw. Aktenteile, die dem Arztgeheimnis unterstehen, kann bspw. umgesetzt werden, indem die Verwaltungsstrafbehörde – vergleichbar dem Entsiegelungsrichter – bei der Triage der zu beschlagnahmenden Akten (und der Vornahme allenfalls erforderlicher Abdeckungen) einen Sachverständigen wie etwa das Institut für Rechtsmedizin beizieht. Freilich kann die Kenntnisnahme durch die Verwaltungsstrafbehörde auf diesem Weg nicht mehr (jedenfalls nicht mehr gänzlich) verhindert werden. Mit der Beschlagnahmeverfügung ist der gerichtliche Rechtsschutz in Hinblick auf den Beschlagnahmegegenstand jedoch wieder insofern gewährleistet, als dagegen die Beschwerde an die Beschwerdekammer zulässig ist (Art. 26 VStrR) [E. 2.6].