Späte Anzeigen bei Sexualdelikten

Nach Auffassung des Obergerichts des Kantons Aargau spricht es generell nicht gegen die Glaubwürdigkeit eines Opfers, wenn es ein halbes Jahr mit der Strafanzeige wegen schwerer Sexualdelikte zuwartet. Das entbindet gemäss Bundesgericht aber im konkreten Fall nicht davon, sich mit den Gegenargumenten des Beschuldigten auseinanderzusetzen (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO und Art. 29 Abs. 2 BV). Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren hat das Bundesgericht daher wegen Verletzung des Gehörsanspruchs kassiert (BGer 6B_1204/2013 vom 06.10.2014).

Liest man die folgende Erwägung, wundert man sich über das Ergebnis nicht:

Der Beschwerdeführer machte in vorinstanzlichen Verfahren geltend, die Beschwerdegegnerin 2 habe ohne hinreichenden Grund ein halbes Jahr gewartet, bevor sie Anzeige gegen ihn erstattete. Dies habe sie ausschliesslich aus finanziellem Anlass getan. Die Vorinstanz erwägt diesbezüglich, dass ihr weitere Malträtierungen als akut drohende Gefahr erscheinen musste. Dabei setzt sie sich nicht mit dem Einwand des Beschwerdeführers auseinander, er sei in die Türkei ausgereist, womit für die Beschwerdegegnerin 2 keine Gefahr mehr bestanden habe. Zudem lässt die Vorinstanz in unzulässiger Weise die Frage offen, ob die Beschwerdegegnerin 2 gegen den Beschwerdeführer aus wirtschaftlichen Gründen Anzeige erstattete, obwohl diese erfolgte, nachdem Letzterer gegen sie eine Betreibung für die Unterhaltsansprüche der Kinder einleitete und das Rechtsöffnungsverfahren pendent war. Der generelle Hinweis, späte Anzeigen seien bei Sexualdelikten üblich, genügt in der konkreten Situation nicht (E. 2.2.1).