Sprunghanfte Rechtsprechung zu Honorarpauschalen

In einem neuen, zur Publikation vorgesehenen Urteil zur Entschädigung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands, äussert sich das Bundesgericht einmal mehr zur Zulässigkeit von Honorarpauschalen und setzt sich dabei auch über seine (nicht publizierte und damit wohl nicht beachtliche) Rechtsprechung hinweg (BGE 6B_1252/2016 vom 09.11.2017).

Folgende Erwägung musste ich mehrfach lesen, um sie zu glauben:

Hielt das Bundesgericht im zitierten amtlich publizierten Entscheid [das Bundesgericht bezieht sich hier auf BGE 141 IV 124] fest, dass bei Honorarpauschalen der effektive Zeitaufwand lediglich im Rahmen des Tarifansatzes berücksichtigt wird, ist entgegen einzelnen nicht amtlich publizierten Entscheiden (etwa Urteil 6B_558/2015 vom 29. Januar 2016 E. 1.2.2 mit Hinweis auf das Urteil 5A_157/2015 vom 12. November 2015 E. 3.3.2) daran festzuhalten (E. 2.5.1, Hervorhebungen durch mich).

So ganz geheuer sind dem Bundesgericht die an sich ja so praktischen Pauschalhonorare dann aber ja doch nicht. Anders kann ich mir die anschliessenden Erwägungen nicht erklären:

Insbesondere setzt das pauschalisierende Vorgehen nicht eine systematische “Kontrollrechnung” mit einem Stundenansatz von Fr. 180.– voraus (a. M. FRANÇOIS BOHNET, Anwaltsrevue 1/2016 S. 28; DERSELBE, SZZP 2/2016 S. 125). Es ist nicht in das Belieben des unentgeltlichen Rechtsvertreters gestellt, durch das Aufschreiben einer übermässigen Anzahl Stunden auf die Festsetzung des Grundhonorars Einfluss zu nehmen (Urteil 5D_213/2015 vom 8. März 2016 E. 7.1.3 mit Hinweisen). Richten sich Honorarpauschalen nicht in erster Linie nach dem Umfang der Bemühungen, ist der tatsächlich geleistete Aufwand zunächst nur sehr bedingt massgebend. Gleichwohl sind die sachbezogenen und angemessenen Bemühungen zu entschädigen. Wird mit Blick auf den in der Gebührenverordnung gesetzten Rahmen erkennbar, dass der geleistete Aufwand auch nach einem Minimalansatz zu einer Entschädigung führt, welche über das Mass dessen hinausgeht, was für Fälle der betreffenden Art üblicherweise als geboten und damit entschädigungspflichtig angesehen wird, muss der unentgeltliche Rechtsvertreter – von sich aus, gegebenenfalls auf gerichtliche Aufforderung hin – darlegen, inwiefern zur gehörigen Erledigung des Prozessmandats ein solcher Aufwand erforderlich war. Die blosse Auflistung von Aufwandpositionen in der Honorarnote ist hierfür nicht ausreichend (Urteil 5D_114/2016 vom 26. September 2016 E. 4 mit Hinweis). Eine substanziierte Begründung des Honoraranspruchs kann vom unentgeltlichen Prozessvertreter freilich nur gefordert werden, wenn er spätestens bei der Übernahme seines Auftrags weiss oder zumindest in Erfahrung bringen kann, auf welchen Pauschalbetrag die zuständige Behörde in durchschnittlichen Verfahren gleicher Art die Grundentschädigung praxisgemäss festsetzt (Urteil 5A_380/2014 vom 30. September 2014 E. 3.1). Anzufügen bleibt, dass selbst im zitierten Entscheid BGE 141 I 124 der von der amtlichen Verteidigerin geltend gemachte Aufwand von 79.9 Stunden bei einem Stundenansatz von Fr. 180.– den zugesprochenen Pauschalbetrag von Fr. 9’600.– bei Weitem überschritten hatte. Das Bundesgericht hat also bereits im besagten Entscheid, indem es eine Verletzung der Begründungspflicht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV verneinte, das pauschalisierende Vorgehen nicht von einer “Kontrollrechnung” im oben genannten Sinne abhängig gemacht (vgl. Urteil 6B_730/2014 vom 2. März 2015 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 141 I 124).

Wenn das jemand versteht: ich bin für jeden Hinweis dankbar. Was ich in solchen Entscheiden jeweils vermisse ist ein Bezug zu den gesetzlichen Sorgfaltspflichten, deren Erfüllung nun einmal Aufwand mit sich bringen. Und was mich andererseits ärgert sind dann halt schon auch Kollegen, die Aufwendungen geltend machen, die jedes Gericht stutzig machen müssen.