Staatliche Behörden als Privatkläger?

Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen. Leider fühlte sich der Gesetzgeber veranlasst, nebst der Staatsanwaltschaft auch noch Geschädigte als Strafkläger zuzulassen (als ob die Staatsanwaltschaft das nicht selbst und v.a. am besten könnte). Ist nun aber die Geschädigte eine staatliche Behörde, besteht grundsätzlich kein Raum, nebst der Staatsanwaltschaft auch noch jener Parteistellung einzuräumen.

Das sah die Fürsorgebehörde Ingenbohl anders und bekam – von der Staatsanwaltschaft! – auch noch Recht. Die Justiz inkl. Bundesgericht korrigieren (BGer 1B_158/2018 vom 11.07.2018) und differenzieren (leider) danach, ob der Staat wie ein Privater betroffen ist:

Die Geschädigtenstellung des  Staates verlangt nach der Lehre, dass dieser durch die Straftat nicht nur in den öffentlichen Interessen beeinträchtigt, sondern in seinen persönlichen Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Viktor Lieber, in: Zürcher Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 2a zu Art. 115 StPO), respektive dass er durch die Straftat in seinen Rechten wie ein Privater verletzt worden ist (Mazzuchelli/Postizzi, a.a.O., N. 39 zu Art. 115 StPO). Nicht als geschädigt im Sinne von Art. 115 StPO gelten in der Regel die Verwaltungsträger des Gemeinwesens, wenn sich die Straftat gegen Rechtsgüter richtet, für welche sie zuständig sind, wie dies etwa auf das kantonale Sozialamt bei Sozialhilfebetrug zutrifft (Mazzuchelli/Postizzi, a.a.O., N. 40 zu Art. 115 StPO). In solchen Fällen handelt der Staat hoheitlich, d.h. er nimmt bei der Verrichtung der öffentlichen Aufgabe ausschliesslich öffentliche und keine eigenen individuellen Interessen wahr, womit er von der Straftat auch nicht in seinen persönlichen Rechten unmittelbar betroffen und verletzt ist. Der Verwaltungsträger kann, soweit er hoheitlich wirkt, nicht gleichzeitig Träger des Rechtsguts sein, für dessen Schutz, Kontrolle und Verwaltung gerade er, kraft seiner ihm auferlegten öffentlichen Aufgaben, einstehen muss und entsprechend selber dafür verantwortlich ist (eingehend zum Ganzen: Simone Brandenberger, Der Staat als Verletzter im Strafprozess – eine Rollenverteilung, in: forumpoenale 4/2016, S. 226 f.; vgl. auch für das deutsche Recht: Kirsten Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 5, 26. Aufl. 2008, N. 60 zu § 172 StPO/D).
Diese Ausführungen in der Lehre überzeugen. Die Vorinstanz hat die Geschädigtenstellung der Beschwerdeführerin im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner wegen Sozialhilfebetrugs damit zu Recht verneint (E. 2.5, Hervorhebungen durch mich).
Die Vorstellung eines Staates, der persönliche Rechte haben soll und eigene individuelle Interessen wahrnehmen kann, ist mir schier unerträglich,
Am Schluss des Entscheids erklärt das Bundesgericht den Grundsatz samt Ausnahmen und spricht – immerhin – von einer speziellen Parteistellung:
Die öffentlichen Interessen an der strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung der beschuldigten Person werden im Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft wahrgenommen. Weitere Verwaltungseinheiten wie die Beschwerdeführerin sind nur ausnahmsweise bei entsprechender gesetzlicher Grundlage zuzulassen. So können gemäss Art. 104 Abs. 2 StPO Bund und Kantone zusätzlich zur Staatsanwaltschaft weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen. Dies erfordert eine klare gesetzliche Grundlage und hat mit der Frage der Geschädigteneigenschaft nichts zu tun. Die Behörde tritt als Partei sui generis, nicht aber als Privatklägerin im Strafprozess auf (vgl. Mazzuchelli/Postizzi, a.a.O., N. 41 zu Art. 115 StPO).
Vorliegend ist unbestritten, dass weder Bund noch Kanton der Beschwerdeführerin eine spezielle Parteistellung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO einräumen (E. 2.6).