Staatsanwältin und Richterin
Die Vereinigte Bundesversammlung hat heute die Richterinnen und Richter der neuen Berufungskammer gewählt. Die zurzeit wohl berühmteste Staatsanwältin der Schweiz – sie hat die Anklage im Fall Rupperswil vertreten und die Fachwelt mit rechtsfehlerhaften Anträgen überrascht – ist als nebenamtliche Berufungsrichterin gewählt worden. Hauptberuflich bleibt sie Staatsanwältin im Kanton Aargau.
Nachdem es die Schweiz doch noch geschafft hat, endlich eine Berufungsinstanz in Bundesstrafsachen zu bilden, wird diese bis auf Weiteres in den Gebäuden des Bundesstrafgerichts untergebracht sein, was schon peinlich genug ist. Hinzu kommt jetzt wie erwähnt, dass eine amtierende leitende Staatsanwältin als Richterin eingesetzt wird.
Diese hat der NZZ (paywall) gegenüber dargelegt, was sie an ihrem neuen Job fasziniert:
«Als Staatsanwältin gehe ich immer vom Worst Case aus. Als Richterin werde ich alle Umstände eines Falles genau anschauen müssen – dies eröffnet mir neue Perspektiven», sagt sie. Die Arbeit am Gericht kennt sie gut, bevor Barbara Loppacher Staatsanwältin wurde, arbeitete sie drei Jahre als Gerichtsschreiberin am Obergericht des Kantons Aargau.
Aber auch thematisch freut sie sich auf neue Perspektiven. Sie wird mit Tatbeständen zu tun haben, die sie von der kantonalen Ebene her nicht kennt: klassische Staatsschutzdelikte etwa, organisierte Kriminalität oder Terrorismus mit all seinen Aspekten – von Jihad-Reisen über Finanzierung bis hin zu Propaganda. Es sind denn auch diese «neueren Phänomene», die sie besonders ansprechen. Bereiche, in denen die Rechtsprechung noch nicht gefestigt ist.
“Als Staatsanwältin gehe ich immer vom Worst Case aus.” Wie war das nochmal mit Art. 6 Abs. 2 StPO? Sie (die Strafbehörden) untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…
Wenn ich das richtig sehe, ist sie nicht die einzige Vertreterin einer(Ober-)Staatsanwaltschaft auf dieser Liste. Aber es hat auch eine Anwältin dabei – das ist dann kein Problem?
Im noch laufenden Inserat für das französischsprachige ordentliche Richteramt steht übrigens drin: “Sie kennen sich im Strafrecht und insbesondere in Gebieten, die in die Zuständigkeit des Bundesstrafgerichts fallen, sehr gut aus.” Wie der Artikel sagt, bei einer Tätigkeit auf Kantonsebene eher schwierig…
@dh … was belegt, dass die meisten Gewählten die Kriterien nicht erfüllen. Wer ist denn die gewählte Anwältin? Falls sie als Strafverteidigerin tätig ist, wäre es für mich durchaus auch ein Problem. Aber erfahrungsgemäss werden Strafverteidiger nicht Richter.
StBOG betr. Wählbarkeit von Richtern ans BStGer:
Art. 44 Unvereinbarkeit aufgrund eines Amts oder einer Tätigkeit
4 Sie dürfen Dritte nicht berufsmässig vor Gericht vertreten.
Nur so als Ergänzung: Nebst Frau Loppacher wurden heute noch weitere 8 nebenamtliche Richterinnen/Richter gewählt, total 6 Damen und 3 Herren.
Als interessierter Bürger wollte ich gerne etwas über die Personalien der Gewählten erfahren. Also Konsultation der website der Parlamentsdienste. Überraschung Überraschung: Da werden zwar Bürgerort (sehr sehr wichtig) und Wohnort (unter Persönlichkeitsschutz- und Sicherheits-Aspekten problematisch) genannt, nicht aber – was eher interessieren dürfte – die aktuelle Funktion. Und: Alle werden als “Anwalt/Anwältin” tituliert (“Barbara Loppacher, von Teufen/AR, Anwältin, in Muri/AG”). Hm.
Gerne publiziere ich hier anstelle der Parlamentsdienste das Ergebnis der eigenen Recherchen:
– Fréderique Bütikofer Repond, Präsidentin des Bezirksgerichtes Gruyère/FR CVP
– Rosa Maria Cappa, Anwältin seit 2017, zuvor “Sosituta Procuratrice federale” FDP
– Tom Frischknecht, Richter am Kreisgericht SG SP
– Béatrice Kolvodouiris Janett, stellvertretende Oberstaatsanwältin Kanton UR FDP
– Barbara Loppacher, Staatsanwältin Kanton AG SP
– Jean-Paul Ros, Staatsanwalt Kanton NE SP
– Marcia Stucki, Richterin am Strafgericht BS SVP
– Petra Venetz, Richterin am Kriminalgericht LU CVP
– Jean Marc Verniory, Richter am Strafgericht GE CVP
Und die geschätzte Frau Loppacher werde ich am Ende des Jahres 2019 gerne anfragen, wieviele Stunden/Tage/Wochen sie im Jahre 2019f für die Arbeit in diesem Gremium effektiv aufgewendet hat. Budgetiert sind “etwa drei bis vier Wochen im Jahr” (Aargauer Zeitung vom 13. Juni 218).
@Jürg Fehr: Herzlichen Dank.
Das Ergebnis deckt sich mit meinem. Damit ist auch klar, wer Anwältin ist, und damit meinte ich nicht (nur) Patentinhaberin, sondern hauptberuflich weiter in einer Kanzlei als Strafverteidigerin tätig, wie kj das auch aufgefasst hat.
@dh in ihrer kurzen Praxis wird es kaum möglich sein, dass sie sich von einer Staatsanwältin zu einer Verteidigerin gewandelt hat. Sie kann noch keinen Fall von A-Z verteidigt haben. Aber anders als eine Staatsanwältin kann sie frei wählen, welche Mandate sie in Zukunft führen wird. Das könnte die Doppelrolle weniger unerträglich machen. Aber grundsätzlich finde ich es falsch, dass Richter neben ihrem Richteramt noch einer anderen Beschäftigung in der Rechtsbranche nachgehen. Sie werden es auf kurz oder lang auch gar nicht können, wetten?
Witzig ist, dass die gewählte “Anwältin” über Erfahrung in Bundesstrafsachen verfügt und dieses Kriterium als Einzige (?) oder jedenfalls am besten erfüllt.
Ich oute mich als (erfolgloser) Mitbewerber für ein Nebenamt bei der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts (und Mitleser dieses Blogs). Auch ich danke Herrn Fehr für seine Recherchen. Mit der hier veröffentlichten Liste der Gewählten ist mir nun klar, weshalb ich mit meiner Erfahrung von 16 Jahren als Mitglied der Strafkammer des Solothurner Obergerichts nicht gewählt werden konnte!
Erfahrene Berufungsrichter wollte man wohl einfach nicht. Und Solothurner sind an den Gerichten des Bundes sowieso unerwünscht, vielleicht deshalb weil sie in der GK selbst auch nicht vertreten sind: https://www.parlament.ch/Poly/Adressen_RM/kommmitglieder_v_gk-V.pdf
Und hier noch der Bericht der Kommission: https://www.parlament.ch/centers/kb/Documents/2018/Kommissionsbericht_GK-V_18.203_2018-05-30.pdf