Staatsanwalt und Sittenwächter (in eigener Sache)

Der Brief eines Untersuchungshäftlings wurde im Rahmen der gesetzlichen Briefzensur (Art. 235 Abs. 3 StPO) nicht an den adressierten Mithäftling weitergeleitet, weil der Briefinhalt ungebührlich sei. Die gegen den Entscheid des offenbar auch persönlich beleidigten Staatsanwalts wies die Beschwerdeinstanz ab.

Das Bundesgericht heisst die Laienbeschwerde des Häftlings wegen Verletzung von Bundesrechts gut (BGer 1B_103/2014 vom 16.04.2014). Aus den Erwägungen:

3.3. Die Vorinstanz hält dem Beschwerdeführer vor, er werfe dem Staatsanwalt sinngemäss ein Ausnutzen seiner Machtposition und Willkür vor, indem er ihn durch Verwendung der Abkürzung “S.S” in die Nähe des Dritten Reiches rücke. Im Brief beklagte der Beschwerdeführer die Verhältnisse im Untersuchungsgefängnis und ergänzte dazu “… das Spielchen von S.S kennen wir ja langsam”. Weder wird darin dem Staatsanwalt direkt Machtmissbrauch vorgeworfen noch ergibt sich ein unmittelbarer Bezug zum Dritten Reich. Mit der Verwendung des Wortes “Spielchen” wird dem Staatsanwalt allenfalls ein gewisses fragwürdiges Verhalten unterstellt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine unzulässige Kritik. Die benutzte Abkürzung “S.S” gibt die Initialen des Namens des Staatsanwalts wieder. Mit dem gesetzten Punkt zwischen den zwei Buchstaben besteht dabei ein äusserlicher Unterschied zur Abkürzung der Schutzstaffel des Dritten Reiches. Dass der Staatsanwalt einen Namen trägt, dessen Initialen mit der Abkürzung einer weitum bekannten historischen menschenverachtenden Organisation übereinstimmen, lässt sich dem Beschwerdeführer nicht vorhalten. Eine krass ehrverletzende Äusserung könnte daher nur vorliegen, wenn ein klarer Bezug zur fraglichen Organisation oder zum Dritten Reich geäussert oder zumindest eindeutig nahe gelegt würde. Das trifft indessen nicht zu.

3.4. Die Vorinstanz würdigte sodann die Passage am Ende des Schreibens “… lass den Kopf nicht hängen und anderes auch nicht hehehe …” als unanständig. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, die Bemerkung beziehe sich nicht auf das Sexualorgan, sondern auf den Bauch des Briefadressaten. Das erscheint wenig glaubwürdig, ist aber auch nicht ausschlaggebend. Selbst wenn darin eine Anspielung auf das Sexualorgan enthalten wäre, so erscheint die Passage gegebenenfalls höchstens geschmacklos. Ein wesentlicher Grad von Unanständigkeit, welche nachgerade die Nichtweiterleitung des Briefes rechtfertigen könnte, liegt hingegen nicht vor.
Man könnte sich sogar fragen, ob Post an einen Mithäftling überhaupt der Zensur unterliegen darf, was hier aber nicht geltend gemacht wurde.