Staatsanwalt v. Richter
Die SRF-Sendung „Schweiz aktuell“ hat gestern einen kritischen Beitrag zur Tatsache gesendet, dass die mit Strafbefehl – meist ohne Einvernahme der beschuldigten Person – erledigten Strafverfahren in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Ein befragter Staatsanwalt sieht darin kein Problem, weil sich die beschuldigte Person ja mit Einsprache wehren könne, womit ja dann ein Prozess vor einem Richter stattfinde. Dass der Staatsanwalt die Problematik nicht ganz objektiv erfasst hat, zeigt sich aber insbesondere an einer weiteren Aussage.
Danach sei der Strafbefehl eines Staatsanwalts nicht per se schlechter sei als das Urteil eines Einzelrichters, zumal die Voraussetzungen für die Ausübung des Amts für Richter und Staatsanwälte die gleichen seien.
Wenn der Kollege Recht hätte, was ich nicht einmal ausschliesse, müsste man die Strafbefehlskompetenz der Staatsanwälte massiv ausbauen. Die nicht mehr benötigten Richter könnten einfach zur Staatsanwaltschaft wechseln und dort im stillen Kämmerlein Strafbefehle erlassen. Sie werden als Staatsanwälte nicht per se schlechtere „Urteile“ produzieren als zuvor als Richter.
Hmmm, so aus dem Kopf heraus: Sind da nicht unterschiedliche Anforderungen?
Voraussetzung für das Amt eines Richters:
– volljährig
– schweizer Staatsbürgerschaft
– gewählt werden vom Volk (zumindest erstinstanzliche Richter, zumindest soweit mir bekannt ist)
Voraussetzung für das Amt eines Staatsanwalts:
– volljährig
– abgeschlossenes Jus-Studium
– Anstellungsvertrag
Das ist kantonal unterschiedlich geregelt. Der wichtigste Punkt ist aber ein anderer: es ist nicht Aufgabe der Exekutive, Beschuldigte zu verurteilen.
Dies ist eine schweizerische Eigenart. So ist etwa in Deutschland für den Erlass eines Strafbefehls der Strafrichter des Amtsgerichts zuständig. Auch beim Mandatsverfahren in Österreich ist der Richter zuständig.
Was an der aussage des Staatsanwaltes am meisten stört, ist der Umstand, dass der Beschuldigte Aufwand und Kosten hat, wenn er einen unbedarften Strafbefehl beseitigen will. InSofern ist die einsprachemöglickeit eben keine so einfache und problemlose Möglichkeit, den Strafbefehl zu beseitigen, weil viele Leute dieses Risiko scheuen, wie die geringe Zahl an einsprachen vermuten lässt.
Genau so ist es. Oder verkürzt: Wer sich verteidigen will, trägt das Kostenrisiko.
Ja Natürlich erlässt der Staatsanwalt per Se nicht schlechtere Urteile er befindet sich einfach in einem Interessenkonflikt, da er nicht objektiv Urteile kann, da er als Ankläger natürlich die Verurteilung möchte. Daher sind Strafbefehle immer schlechter als das Urteil, und zwar in zweierlei Hinsicht, entweder sind Sie infolge der Inkompetenz der STA zu tief oder zu hoch angesetzt, wobei das zweitere eher häufiger ist. Neben dem was KJ schon ausgeführt hat das es nicht sache der Exekutive ist zu Urteilen, was eigentlich für einen Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte, stört mich vorallem das an Staatsanwälte tiefere Anforderungen als an Privatverteidiger gestellt werden, wer dreimal durch die Anwaltsprüfung fliegt kann immer noch STA werden. Wer also nicht kompetent genug ist als Anwalt zu walten, der darf dann die Gegenseite vertreten und in 99% der Fälle auch noch gerade die Rechtsanwendung bestimmen, da sich der Grossteil der Bürger nicht gegen Strafbefehle wehrt haben Sie grosse Kompetenzen bei kleinem Salär.
@Anonym: In nicht wenigen Kantonen ist ein Anwaltspatent Ernennungsvoraussetzung für Staatsanwälte. Schauen Sie sich mal besser die Einführungsgesetzgebungen der Kantone zur StPO an!
Danke für den Hinweis, eigentlich ist es schon ausreichend das es überhaupt Kanton gibt in welchen es anders ist (es reicht ein einziger), und die StPo gilt auch erst seit 2011, wie war es denn vorher ? Genau, die heutigen aktiven Staatsanwälte waren wohl grossmehrheitlich vor 2011 bereits eingesetzt.
Das Problem ist also nur ein terminologisches. Nennen wir doch einfach den „Staatsanwalt“ neu „Richter“, ist ja das Gleiche. Und den Strafprozess nennen wir „Inquisitionsverfahren.“ Alles einfach gelöst.
Es bringt wenig, hier Staatsanwälte gegen Richter auszuspielen. Das Problem ist institutioneller Natur. Vor allem der Umfang der hiesigen Strafbefehlskompetenz der STA ist wohl europa-, wenn nicht weltweit beispiellos: Bis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe kann die STA in Eigenregie verhängen, nota bene ohne rechtliches Gehör, geschweige denn ein Geständnis des Beschuldigten. Kombiniert man das mit der strengen Zustellfiktion in Strafsachen (Strafbefehl bei der Post nicht abgeholt), verwundert einen nicht, wenn hier rechtskräftige Fehlurteile am Fliessband produziert werden. Hallo, Bundesgesetzgeber?
@RA: Danke, mit allem einverstanden. Nur eine Ergänzung: wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Strafbefehls wirklich ernst genommen würden, wäre das Problem im Ergebnis nicht so gravierend. Es ist deshalb nicht nur ein Problem des Gesetzgebers.
Doch, ich finde es ist tatsächlich in erster Linie ein gesetzgeberisches Problem, denn man kann es dem einzelnen Staatsanwalt wohl kaum zum Vorwurf machen, wenn er die (eher schwammigen) Voraussetzungen zum Erlass eines verfahrenserledigenden Strafbefehls je nach Geschäftslast halt etwas extensiver interpretiert. Staatsanwälte sind bekanntlich auch nur Menschen. Deshalb sollte man eben die gesetzlichen Voraussetzungen viel klarer und restriktiver fassen und nicht dem Ermessen des individuellen Rechtsanwenders überlassen, zumal es sich beim Strafbefehlsverfahren eben eigentlich um eine (gravierende) Ausnahme vom ordentlichen rechtsstaatlichen Verfahren handelt.
Die Verteidiger wünschen sich ja schon lange eine „Vollkasko-Rechtsschutzversicherung“ für Bagatell-Delikte, um dann bei jeder Gelegenheit auf Staatskosten eine oftmals aussichtslose Beschwerde etc. einzureichen. Zudem soll ja auch jedes Bagatell-Delikt am besten von einem unabhängigen 7er-Richtergremium beurteilt werden. Da stellt sich nur die Frage, wer das alles bezahlen soll?
Sinn und Zweck des Strafbefehlsverfahren ist es doch, möglichst effizient (kostengünstig) zu einem Abschluss des Verfahrens zu kommen. Wer mit einem Strafbefehl – aus welchem Grund auch immer – nicht einverstanden ist, kann auf simple Art und Weise Einsprache erheben. Es wird sich dann im weiteren Verfahren zeigen, ob es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommt oder nicht. Sollte sich der Strafbefehl als falsch erweisen, trägt der „Verurteilte“ ja keine Kosten. Sollte sich aber herausstellen, dass der vom Beschuldigte vorgetragene Sachverhalt nicht zutreffend ist, ist es doch richtig, dass er für den von ihm (!) verursachten Mehraufwand die Kosten zu tragen hat. Immerhin hat ja in diesem Fall der Beschuldigte – und nicht der Staat – gegen ein gültiges Gesetz verstossen.
@H.N.: Danke für den interessanten Kommentar. Dass der zu Unrecht „Verurteilte“ keine Kosten tragen würde, ist aber realitätsfremd. Apropos: wenn es so einfach wäre, warum beschränkt man dann die Strafbefehlskompetenz überhaupt? Gerade bei Kapitalverbrechen ist die Fakten- und Rechtslage ja nicht per se unklarer.
Für Massendelikte mit geständigen Beschuldigten ist das Strafbefehlsverfahren eine für den Beschuldigten kostengünstige Variante (richterl. Entscheidgebühren sind oftmals massiv höher!). Nach meiner Erfahrung wollen zudem geständige Beschuldigte oftmals keine – öffentliche! – Gerichtsverhandlung, weshalb sie das nichtöffentliche Strafbefehlsverfahren vorziehen. Bei Nichtvorliegen eines Geständnisses und zusätzl. Nichtvorliegen klarer Beweise (z.B. DNA, Dakty) muss die Staatsanwaltschaft ohnehin Anklage erheben bzw. darf sie keinen Strafbefehl erlassen (Art. 352 Abs. 1 StPO).
@StA Glaus: Das ist auch der Grund, warum Verteidiger ab und an empfehlen, auf eine Einsprache selbst dann zu verzichten, wenn sich ein Betroffener nichts vorzuwerfen hat. Das Strafbefehlsverfahren hat für viele Beschuldigte erhebliche Vorteile. Es hat einfach mit Strafprozessrecht oder Gerechtigkeit oder Rechtsstaatlichkeit oder Wahrheitsforschung oder …. sehr wenig zu tun.
Wären den die Voraussetzungen für einen Strafbefehl nicht das die Sachlage klar ist, ich orte hier das Problem für den Staatsanwalt ist oftmals klar was beim Gericht begründete Zweifel ergibt. Das zweite Problem des Strafbefehls ist, das ich mich zwar Einsprache erheben kann, dann jedoch das Verfahren bezahlen muss und dies auch dann wenn ich z.B. nur für eine Übertretung anstatt ein Vergehen verurteilt werde. Wenn wir jetzt mal davon ausgehen das ein Grossteil der Vergehen mit Geldstrafen auf Bewährung ausgesetzt werden, dann fahre ich oftmals besser (z.M. in finanzieller Hinsicht) wenn ich das unzulässige Urteil akzeptiere, ich habe dann zwar einen Strafregistereintrag welcher mir später allenfalls wieder vorgehalten wird, aber unter dem Strich ist es für die meisten Beschuldigten billiger den Strafbefehl zu akzeptieren. Ich hätte schon gerne das in einem Rechtsstaat vor den Kosten die Materielle Wahrheit und eine gerechte Strafe für das Wiederrechtliche Verhalten erfolgt.
Das Problem liegt darin, dass anders als z. B. in Deutschland, im hiesigen Strafbefehlsverfahren der Richtervorbehalt fehlt. Mein letztes Verfahren zeigt eindrücklich, wozu das in der Praxis führt:
Die Zürcher Staatsanwaltschaft III zeigte so extreme fachliche Inkompetenz und beging so viele gravierende Verfahrensfehler, dass sogar die Sünde selbst hätte freigesprochen werden müssen (abgesehen davon, dass das gesamte Verfahren ohnehin auf einer Falschbeschuldigung basierte).
Frei nach dem Motto „Wir können es ja mal versuchen, vielleicht wehrt er sich ja nicht“ hat sie trotzdem einen Strafbefehl erlassen. Die Einsprache führte dann unvermeidbar zu einem Freispruch, mit deutlichen Worten der Verwunderung des Richters, warum überhaupt Anklage erhoben wurde.
Ich glaube, dass der fehlende Richtervorbehalt dazu führt, dass eine Menge zu Unrecht Beschuldigter einen Strafbefehl akzeptieren, nur um Nachts wieder schlafen zu können. Anderen fehlen die Mittel oder das Fachwissen, um sich gegen einen Strafbefehl geboten zur Wehr setzen zu können.