Staatsanwaltschaft c. Verteidigung
Ein Beschuldigter, dem die beiden verfahrensleitenden Staatanwälte aus sachlich nicht vertretbaren Gründen den amtlichen Verteidiger auswechseln wollten, hat den Spiess erfolgreich umgedreht und die beiden thurgauischen Staatsanwälte in den Ausstand geworfen.
Dazu musste aber bis vor Bundesgericht, welches die beiden Verfahrensleiter regelrecht abstraft und die Ausstandspflicht reformatorisch feststellt (BGer 1B_419/2014 vom 27.04.2015, Fünferbesetzung). Hier ein paar Auszüge aus dem Urteil des Bundesgerichts, das den einen oder anderen Staatsanwalt nachdenklich stimmen sollte, nicht bloss die hier betroffenen:
Am 28. November 2013 führten die Beschwerdegegner mit dem Beschwerdeführer in Anwesenheit von Mitbeschuldigten eine Einvernahme durch. Dabei sagte der Beschwerdeführer, Rechtsanwalt D. habe ihm geraten, zu schweigen. Darauf bemerkte die Beschwerdegegnerin 2 nach der Feststellung der Vorinstanz Folgendes: „Wir werden nachher noch darüber sprechen, ob das sinnvoll ist“. […]. Die Beschwerdegegner bestreiten, dass die Beschwerdegegnerin 2 die Aussage gemacht hat. Die Vorinstanz stützt ihre gegenteilige Feststellung auf die Angaben eines an der Einvernahme anwesenden Anwalts eines Mitbeschuldigten. Danach hat die Beschwerdegegnerin 2 die Bemerkung gemacht. Dieser Anwalt, der an der Einvernahme anstelle eines verhinderten Bürokollegen teilnahm, hielt deren Ablauf für diesen auf dem Smartphone fest. Darin ist die fragliche Aussage der Beschwerdegegnerin 2 wörtlich enthalten. Angesichts dessen ist die Feststellung der Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig und deshalb für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). […]. Wieweit es sinnvoll ist, dass der Beschuldigte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, muss er bzw. sein Verteidiger entscheiden. Das ist eine Frage der Verteidigungsstrategie, die den Staatsanwalt nichts angeht (vgl. Urteil 1B_187/2013 vom 4. Juli 2013 E. 2.4, in: SJ 2004 I 205). Die Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2 war daher unangebracht. Sie erweckt objektiv den Eindruck, dass die Beschwerdegegnerin 2 darauf abzielte, den Beschwerdeführer dazu zu verhalten, weitere Aussagen zu machen, was der Verteidigungsstrategie von Rechtsanwalt D. widersprach, der dem Beschwerdeführer riet, nach einer ersten umfassenden Aussage zu schweigen (E. 3.4.2)..
Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz machte die Beschwerdegegnerin 2 die (E. 3.4.2) erwähnte Bemerkung nicht vor, sondern während der Einvernahme. Die Dokumentationspflicht hätte es daher nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz geboten, nicht nur den Hinweis des Beschwerdeführers zu protokollieren, Rechtsanwalt D. habe ihm geraten zu schweigen, sondern ebenso die Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2. Dies tat der Beschwerdegegner 1, welcher das Protokoll führte, jedoch nicht, was beim Beschwerdeführer auch bei objektiver Betrachtungsweise den Eindruck erwecken konnte, dass die Bemerkung hätte vertuscht werden sollen (E. 3.4.3)..
Am Tag der Einvernahme vom 28. November 2013 erteilte das Obergericht der Beschwerde des Beschwerdeführers und von Rechtsanwalt D. gegen den Widerruf der amtlichen Verteidigung aufschiebende Wirkung und führte aus, Rechtsanwalt D. sei damit nach wie vor amtlicher Verteidiger, weshalb ohne ihn keine Einvernahmen durchgeführt werden dürften. Dies wurde dem Beschwerdegegner 1 um 14.45 Uhr mitten in der Einvernahme telefonisch mitgeteilt. Die Beschwerdegegner setzten diese in Abwesenheit von Rechtsanwalt D. gleichwohl fort. Sie missachteten somit die Anordnung des Obergerichts. Ein zwingender Grund für dieses Vorgehen ist nicht zu erkennen. Dass der Beschwerdeführer an der Einvernahme durch Rechtsanwalt E. verteidigt war und nunmehr entgegen dem Rat von Rechtsanwalt D. aussagen wollte, änderte nichts daran, dass aufgrund der aufschiebenden Wirkung Rechtsanwalt D. wieder amtlicher Verteidiger war und deshalb ohne ihn keine Einvernahmen durchgeführt werden durften. Die Fortsetzung der Einvernahme vom 28. November 2013 in Abwesenheit von Rechtsanwalt D. stellt einen krassen Verfahrensfehler dar, zumal das Obergericht die Tragweite der aufschiebenden Wirkung noch ausdrücklich erläutert hatte. Die Beschwerdegegner konnten darüber also nicht im Unklaren sein (E. 3.4.4).
Die Beschwerdegegner haben demnach zahlreiche und teilweise krasse Verfahrensfehler begangen. Hinzu kommt die unangebrachte Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2 zu Beginn der Einvernahme vom 28. November 2013. In der Summierung wiegt dies schwer. Rechtsanwalt D. setzte sich stark für den Beschwerdeführer ein. Dieser vertraute ihm und wollte deshalb weiterhin von ihm verteidigt werden. Der Beschwerdeführer konnte objektiv den Eindruck gewinnen, dass die Beschwerdegegner Rechtsanwalt D. aus dem Verfahren drängen und durch einen ihnen genehmen Verteidiger mit einer ihnen zusagenden Verteidigungsstrategie (Bereitschaft zur Aussage) ersetzen wollten, weil Rechtsanwalt D. ihnen unbequem war und eine ihnen widerstrebende Verteidigungsstrategie (Schweigen nach anfänglicher umfassender Aussage) verfolgte, welche eine Verurteilung erschwerte. Der Anschein der Befangenheit ist deshalb zu bejahen. Ob die Beschwerdegegner tatsächlich befangen waren, ist nach der dargelegten Rechtsprechung belanglos (E. 3.5).
Der Fall wirft auch ein Schlaglicht auf das bisweilen feindselige Klima, das in den Einvernahmezimmern herrscht und das sich viele Richter gar nicht vorstellen können, zumal das Entscheidende fast nie ordnungsgemäss protokolliert wird.
Zur Strategie vieler Staatsanwälte gehört auch, den Beschwerdeführer ausgiebigst erklären zu lassen, ohne von den wesentlichen Aussagen auch nur einen Buchstaben zu protokollieren. Zuletzt gilt aber das Protokoll.
Und noch ein Fehler:
Wieso war es der Verteidigung erlaubt, eine Einvernahme auf ein privates Aufnahmegerät (i.c. smartphone) aufzunehmen? Der Entscheid über Ton- (wie Bild)aufnahmen liegt nur bei den Behörden, vgl. 72/5is oder 144 StPO!
Hat sie dies ohne Wissen der Staatsanwaltschaft getan? Und ist heimliches Aufnehmen von Gesprächen nicht nach StGB strafbar?
Das habe ich mich auch gefragt. Ev. wurde auf dem Smartphone eine Art Aktennotiz eingetippt oder ein Mail oder ein SMS?
Der Verteidiger, der an der Einvernahme teilnimmt, kann vor der Unterzeichnung des Protokolls dessen Ergänzung verlangen. Somit kann es gar keine Strategie der Staatsanwaltschaft sein, Wesentliches nicht zu protokollieren.
Wenn es so einfach wäre …
Es gibt durchaus Dinge, die der Staatsanwalt nicht protokolliert wissen möchte. So zum Beispiel die Drohungen gegen einen Mitbeschuldigten, falls dieser in der Einvernahme nicht als Zeuge aussage…
Nach meiner Erfahrung ist das Protokoll jeweils der grösste „Kampfplatz“ an der Befragung… Und der wichtigste Grund für die Anwesenheit des Verteidigers an (und ab) der (ersten) Einvernahme.
Meine Rede.
Ich war in diesem Fall der „unbequeme“ Verteidiger, den die Staatsanwaltschaft abservieren wollte, um dem Beschuldigten Aussagen abzugewinnen, die dieser bei gehöriger Verteidigung – seiner bisherigen Strategie folgend – verweigert hätte. Zur Klarstellung: Die fragliche Einvernahme vom 28.11.2013 wurde nicht mit einem Smartphone als Tonaufnahme aufgenommen. Die Verteidiger der Mitbeschuldigten durften diese Einvernahme nur per Video in einem abgetrennten Raum mitverfolgen, ohne den Inhalt des Protokolls am Ende der Befragung zu lesen zu bekommen. Einer dieser Verteidiger hat den wesentlichen Gang der Einvernahme per SMS für seinen abwesenden Bürokollegen mitprotokolliert. Anhand dieser SMS liess sich später belegen, wie und wann die Staatsanwältin mit ihrer Bemerkung während der Einvernahme unzulässig auf den Beschuldigten einwirkte, ohne dass das im offiziellen Befragungsprotokoll festgehalten worden wäre.
Danke für die Klarstellung und herzliche Gratulation!
Vielen Dank für die Gratulation, lieber kj. Eine Nebenwirkung eines Ausstandsbegehrens gegen Staatsanwälte kann sein, dass der unbequem gewordene Verteidiger kaum mehr nach Art. 133 Abs. 1 StPO als amtlicher Verteidiger eingesetzt wird. Nachdem ok im Juni 2014 für den Beschuldigten das Ausstandsgesuch gestellt hat, wurde er – mit Ausnahme eines Piketteinsatzes- nie mehr als amtlicher Verteidiger berufen. Aber vielleicht ist das kein Boykott, sondern nur Zufall.
Merkwürdiger Zufall … Ich kenne etliche Strafverteidiger, die nie amtliche Mandate kriegen, obwohl sie qualifizierter sind als diejenigen, die sich kaum gegen Anfragen wehren können.