Steuerstrafrecht und „ne bis in idem“

In der Buchhaltung einer Aktiengesellschaft wurden in den Jahren 2004 und 2005 zwei namhafte Beträge als Geschäftsaufwand gebucht. In Wahrheit handelte es sich aber um „Privatbezüge“ des Alleinaktionärs und Geschäftsführers der AG. Die AG wurde wegen Steuerhinterziehung gebüsst. Anschliessend erstattete die Steuerverwaltung Strafanzeige gegen die AG wegen Steuerbetrugs. Die Staatsanwaltschaft eröffnete aber gegen den Alleinaktionär und erliess einen Strafbefehl gegen ihn. Auf Einsprache hin stellte das Wirtschaftsstrafgericht BE das Verfahren ein (ne bis in idem).

Das Bundesgericht lässt das nicht zu (BGer 6B_1053/2017 vom 17.05.2018).

Der Umstand, dass gegen die juristische Person ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet wird, obschon deren Organe für den gleichen Vorgang wegen Steuerbetruges verurteilt worden sind, verletzt mangels Identität des Täters den Grundsatz „ne bis in idem“ nicht. Es ist bei dieser Sachlage richtigerweise nicht davon auszugehen, die Organe seien deshalb bestraft worden, weil die juristische Person gebüsst worden ist (…). Dasselbe muss auch im umgekehrten Fall gelten. Der Grundsatz „ne bis in idem“ ist daher im vorliegenden Fall mangels persönlicher Identität der Bestraften nicht verletzt (in Bezug auf Art. 181 Abs. 3 DBG, Vorbehalt der Bestrafung des handelnden Organs). Die Auffassung der kantonalen Instanzen, wonach in beiden Verfahren dasselbe Steuersubjekt betroffen gewesen sei (angefochtener Beschluss S. 3; Verfügung des Wirtschaftsstrafgerichts S. 5, Gerichtsakten WSG 16 25 act. 18 061), verletzt daher Bundesrecht (E. 5.3).

Die Zolotukhin-Rechtsprechung (EGMR Nr. 14939/03 vom 10.02.2009, Zolotukhin c. Russia) bezieht sich auf einfache Tatidentität . Nach Zolotukhin ist „ne bis in idem“ verletzt, wenn ein Steuerpflichtiger nach rechtskräftiger Verurteilung wegen Steuerbetruges zusätzlich wegen der entsprechenden Steuerhinterziehung verfolgt wird. Dagegen verstossen

von verschiedenen Behörden zur selben Tat parallel oder nacheinander geführte Steuerstrafverfahren nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot, wenn sie komplementäre Zwecke verfolgen und im konkreten Fall unterschiedliche Aspekte des sozialen Fehlverhaltens betreffen, wenn die Dualität der Verfahren eine vorhersehbare Folge desselben verfolgten Verfahrens ist, wenn zur bestmöglichen Vermeidung von Doppelspurigkeiten bei der Beweiserhebung zwischen den zuständigen Behörden eine angemessene Interaktion besteht und wenn die im ersten Verfahren ausgesprochene Sanktion im nachfolgenden Verfahren berücksichtigt wird, so dass für den Betroffenen keine exzessive Belastung entsteht und die insgesamt ausgesprochenen Sanktionen verhältnismässig sind (E. 4.1).

Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Jetzt ist der Ball wieder beim Wirtschaftsstrafgericht BE.