Stockbohnenblöder Freispruch
Kurz vor Weihnachten berichtete die NZZ über den Freispruch einer Philosophiestudentin, die wegen Landfriedensbruchs und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte vor Gericht stand. Sie war mit blutender Hand in der Nähe einer Demonstration in Zürich festgenommen worden, bei der es zu schweren Ausschreitungen gekommen war. In ihrer Tasche fand die Polizei eine Wollmütze und ein Schal. Aussagen machte sie trotz dreier Tage in Untersuchungshaft keine.
Vor Gericht machte sie geltend, zufällig in die Demo geraten und dabei verletzt worden zu sein. Der Richter glaubte ihr und sprach sie frei, gab ihr aber – immer gemäss NZZ – folgende Lehren auf den Weg:
Ihre Darstellung, dass sie ungeschützt den Knallkörper mit der Hand habe aufnehmen wollen, anstatt zu flüchten oder ihn wegzutreten, sei wenig überzeugend. Und dass sie grundlos die Aussage verweigert habe, mache sie verdächtig. Er nannte es sogar ein «stockbohnenblödes Verhalten». Er habe aber im Prozess den Eindruck erhalten, dass sie ihn nicht angelogen habe (Hervorhebungen durch mich).
Gut, er glaubte ihr natürlich nicht. Freigesprochen hat er sie aber trotzdem. Wieso eigentlich? Egal, so stockbohnenblöd wie der Richter war die Studentin jedenfalls nicht.
Was wäre dann denn nach Ansicht des (inkompetenten) Richters ein akzeptabler Grund gewesen, zu schweigen? Darf/soll nur Schweigen, wer schuldig ist? (Das war die Beschuldigte gemäss seinem Urteil ja gar nicht.) Oder muss, um sich nicht verdächtigt zu machen, aussagen, wer in (Beuge)-Haft sitzt?
Im Übrigen frage ich mich, ob die Konstellation an sich – ohne Aussage der Beschuldigten vor Gericht – überhaupt für einen Schuldspruch wegen (versuchter) Gewalt und Drohung gereicht hätte. Ohne Augenzeugen lässt sich ja nicht ansatzweise nachweisen, ob die Beschuldigte den Knallkörper überhaupt in Richtung der Polizei hatte werfen wollen.
Grundloses Aussageverweigerungsverhalten gibt es nicht. Der Grund um keine Aussage zu machen liegt im Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare – niemand ist gehalten, sich selbst zu belasten. Das ist ein zentrales Recht im Strafverfahren.
Über den Artikel in der NZZ (und den Richter) habe ich mich auch gewundert. Danke für den treffenden Kommentar, Herr Kollege!