StPO-Gebastel
Die Schweizerische Strafprozessordnung ist noch keine zehn Jahr in Kraft und wurde bereits in ca. 75 Bestimmungen geändert. Für weitere Anpassungen (Sicherheitshaft, Übernahme der EMRK- und gesetzwidrigen bundesgerichtlichen Praxis) läuft zurzeit noch eine Referendumsfrist.
Eine grössere Revision soll in der Frühjahrsession (März 2021) im Nationalrat als Erstrat behandelt werden (vgl. Geschäft des Bundesrats 19.048 mit irreführenden Informationen zur vorgezogenen neuen Sicherheitshaft). Daran wird zurzeit wieder herumgenörgelt und -gebastelt. Als wahre Meister der Einflussnahme in den Meinungsbildungs- und Gesetzgebungsprozess erweisen sich einmal mehr die Staatsanwälte, denen es immer wieder gelingt, neue “Vorschläge” einzubringen. Aktuelles Beispiel ist ein Beitrag im Jusletter zum Siegelungsrecht, welches Staatsanwälte und Zwangsmassnahmengerichte unbedingt loswerden wollen; Graf, Die Strafprozessuale Siegelung: Eine Privilegierung von Komödien, in: Jusletter vom 09.11.2020). Graf stellt der geltenden Regelung diejenige des Entwurfs des Bundesrats und – für den Fall dass das Siegelungsrecht nicht versenkt wird – seine eigene gegenüber.
Offenbar ist aber bereits alles schon wieder veraltet. Aus der Medienmitteilung vom letzten Freitag:
SIEGELUNG
Die Kommission beauftragte die Verwaltung im Rahmen der Detailberatung, eine Arbeitsgruppe zu bilden, um neue Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das Entsiegelungsverfahren beschleunigt werden könnte. Die Kommission befürwortet ohne Gegenstimme die von der Arbeitsgruppe ausgearbeitete Formulierung, welche gegenüber dem Entwurf des Bundesrates u.a. eine klarere und engere Umschreibung der versiegelten Aufzeichnungen oder Gegenstände, sowie eine präzise und straffe Regelung des Entsiegelungsverfahrens beim Zwangsmassnahmengericht vorsieht.
Die von der Arbeitsgruppe ausgearbeitete Formulierung ist soweit ersichtlich nicht publiziert.
Gratulation zum Wort Gebastel – trifft den Nagel auf den Kopf.
Als Defitinition zum Wort Gebastel findet man:
Für das Wort GEBASTEL ist kein Wortbedeutungsdatensatz hinterlegt!
Quelle: https://www.wortwurzel.de/GEBASTEL
Fazit: Solange die Zukunftsprognosen – Prävention – Wahrsagerei – Hypothesen im Strafrecht rein strafprozessual geregelt sind, bleibt die ganze StPO von A-Z ohne Bedeutung – ein Gebastel
Mit einem Neuen Bastel-Kunstwerk wird sich wohl nicht viel verändern und wer mit wem zusammen “baden geht” – wird wohl analogium hochkorrupter Staaten in der Schweiz wie es seit 2011 doch des öftern ist, einflussreich sein und wie in einigen Fällen nachgewiesen auch Schmiergelder in der Schweiz von der Schaffhauser und Zürcher Justiz gutgeheissen sind…… bei uns geht ja alles, man ist ja nur neutral.
Das Siegelungsrecht, namentlich bei grösseren Datenmengen, führt oft zu grotesken Verfahren. Vereinfachungen wären auch im Interesse einer effizienten Führung der Verteidigung. Tagelange Sichtungen von Dokumenten vor dem Zwangsmassnahmenrichter mit acht und mehr anwesenden Personen sind oft mühselig, und im normalen Arbeitsalltag des Verteidigers kaum unterzubringen. Für normalsterbliche Beschuldigte, also solche ohne Millioneneinkommen, die sich die Kosten einer angemessenen Verteidigung eigentlich noch leisten sollen könnten, werden solche Zusatzrunden oft zu einer kaum mehr zu stemmenden finanziellen Belastung. Die Siegelung ist zum Schutz der Geheimsphäre grundsätzlich unabdingbar, aber ein Verfahren, das die Beteiligten (vor allem zeitlich entlastet), wäre wünschenswert. Die zündende Idee habe ich gerade nicht, aber vielleicht kommt mir noch eine Idee.
@Alex Rabian: Strafverfahren sind halt mühsam. Wird das Siegelungsverfahren vereinfacht, brechen alle Dämme bei der “systematischen Suche nach Zufallsfunden”. Würde das geltende Recht von den ZMG angewendet, wären die Verfahren übrigens viel weniger aufwändig. Solange der Staatsanwaltschaft alles genehmigt wird, kommt halt man um langwierige Entsiegelungsverfahren nicht herum.
..,,genau so ist es! Dem Beschuldigten obliegt ja die Mitwirkungspflicht! Sobald er erfährt, dass er – zusammen mit seinem Verteidiger – aufgrund der riesigen Menge an Dokumenten/Dateien in den nächsten Wo/Mt unzählige Stunden zu reservieren hat, um seine durch Geheimhaltungsinteressen geschützten Dokumente/Daten bekannt zu geben, verleidet es ihm dann. Spätestens aber dann, wenn der Verteidiger die zu erwartenden Honorare kalkuliert..,das Instrument ist zwar gut gemeint, jedoch viel zu kompliziert ausgestaltet. Man muss ehrlich sein: Ziel des Beschuldigten bzw. der Verteidigung ist fast immer die Verschleppung des Verfahrens!
Erfolgt die Einflussnahme der Staatsanwälte auf organisierter (z.B. Verband) Ebene oder mehr informell? Wenn ersteres: Gibt es vergleichbare Strukturen von (Strafrechts-)Anwälten, die sich für die Rechte der Beschuldigten etc. einsetzen?
organisiert und selbstverständlich bezahlt. SAV und Verteidiger nehmen an Vernehmlassungen teil. Mehr liegt nicht drin.
Da unterschätzen Sie aber die starke Anwaltslobby im Parlament. Hoffentlich setzt sich diese im Kontext der Siegelung für einmal nicht durch.
Und als ob nicht auch Strafverteidiger via juristische Beiträge “in den Meinungsbildungs- und Gesetzgebungsprozess” Einfluss nehmen würden. Gerade zur StPO-Revision.
@Theles: Das stimmt schon. Im Parlament sitzen schon etliche Anwälte, aber eben keine Strafverteidiger.
@kj: Also Paul Rechsteiner ist beispielsweise schon (auch) Strafverteidiger.
fällt eher als Gewerkschafter auf, nicht?
Jositsch zB macht definitiv auch Strafverteidigung. Aber ja, auch er hat noch andere Perspektiven auf den Staat.
Eigentlich dachte ich, kj wäre der einzige legitime Strafverteidigervertreter fürs Parlament. Aber der fällt mehr als Blogger auf, nicht?
@Dangerous: so ist es. Habe es nicht so mit praktischer forensischer Tätigkeit.
Wie viele Staatsanwälte sitzen im Parlament?
Wie viele Anwälte sitzen im Parlament?
Als Anwender der StPO macht es doch Sinn, dass die Staatsanwaltschaften sich in den Gesetzgebungsprozess einbringen. Der Einfluss auf die Gesetzgebung ist aber deutlich kleiner, als jener der Verteidiger.
@Thomas Lieven: wieviele Anwälte sind Strafverteidiger? Glaubt ihr eigentlich wirklich, Politik werde nur im Parlament gemacht?
@kj:
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Rechtsanwalt Philipp Matthias Bregy (Mitglied der RK) auch Strafverteidigung macht.
@Thomas Lieven: “auch Strafverteidigungen” reicht nicht. Ob er “auch” verteidigt, weiss ich nicht. Man muss bei den Anwälten einfach begreifen, dass sie anders als Staatsanwälte nicht auf eine Seite beschränkt sind. Die wahren Top-Shots unter den Anwälten sind doch in der Regel Privatkläger-/Opfervertreter. Sie assistieren die Ankläger, nicht die Beschuldigten. Das ist auch der Grund, warum sich die Anwaltsverbände verständlicherweise nicht allzu stark machen können.
Immerhin aber will – vgl. weiter oben verlinkte Medienmitteilung – die Kommission bei den Teilnahmerechten nicht nachgeben und auch die Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des ZMG soll nicht kodifiziert werden. Insofern herrscht ein ganz wenig Freude. Bleibt zu hoffen, dass die Räte nachziehen…
@GM: besonders gefreut hat mich die Absage an das Beschwerderecht. Das spielt zwar in der PRaxis keine Rolle, weil Haftanträge fast nie abgewiesen werden. Mich freut, dass das Parlament sich der gesetzeswidrigen Praxis des Bundesgerichts nicht beugt.
@kj: “Staatsanwälte als Meister der Einflussnahme”?!
Dies ist m.E, ein hervorragender Artikel von D.K. Graf, der mehrere Problempunkte offen anspricht. Nur weil er von einem StA kommt, muss er ja nicht zwingend von vornherein kritisiert werden.
Dessen “Kompromissvorschlag” könnte doch mindestens eine wertvolle Grundlage/ Diskussionsbasis für die auf Bundesebene eingesetzte Arbeitsgruppe bilden. Die Rechte des Beschuldigten sehe ich in jedem Fall bestens gewahrt.
Es wäre ansonsten interessant und wünschenswert, auch von den Strafverteidigern konkrete Verbesserungsvorschläge zu erfahren. Ausser natürlich, man hat ein Interesse am status quo und somit auch an der zukünftigen Möglichkeit, Verfahren zu verschleppen…
Klar, man kann immer alles diskutieren. Es gibt aber bereits einen neuen Vorschlag aus der RK NR, weshalb die Gegenüberstellung von Graf schon wieder veraltet ist. Und es gibt ein aktuelles Gesetz, das noch keine 10 Jahre alt ist. Und ja, Verfahren zu verschleppen ist immer eine Verteidigungstaktik, die zu prüfen ist. Die meisten Klienten wollen das aber gerade nicht. Und wenn sie es wollen sind sie nicht auf das geltende Siegelungsrecht angewiesen. Meistens genügt es schon, die Staatsanwaltschaften einfach machen (bzw. eben ruhen) zu lassen. Ich habe etliche Fälle, in denen die letzte Untersuchungshandlung über fünf Jahre zurückliegt. Schwere Wirtschaftskriminalität angeblich. Keine Siegelungen oder dergleichen.
Faktencheck: Lesen Sie die Vernehmlassungszusammenfassung der Revision:
Praktisch alle Kantone haben im Vernehmlassungsverfahren angegeben, dass die vom Bund angedachte Revision praxisuntauglich ist. Praktisch sämtliche Kantone wünschen schnellere, einfachere, formlosere, unkompliziertere Verfahren. Dies nicht nur bei diesem Rechtsverhinderungsinstrument der Siegelung, sondern generell.
Und warum? Denn es sind die Kantone, welche diesen Juristen-Wahnsinn, dieses Selbstbereicherungssystem für findige Anwälte, bezahlen müssen. Mit Staatsanwälten hat das nichts zu tun, das sind niedrigrangige Justizbeamte, die haben in den Kantonalparlamenten und -regierungen sowieso nichts zu sagen.
Eine Verschwörung von einflussreichen Organisationen der Staatsanwälte? Dass ich nicht lache….
Mit Ihrem Beitrag disqualifizieren Sie sich selbst. Für Sie spricht aber immerhin, dass Sie es anonym tun.
“Selbstbereicherungssystem für findige Anwälte”?: Da muss ich aber herzlich lachen. In der Regel werden engagierte – oder wie Sie meinen “findige” – Strafverteidiger mit Honorarkürzungen abgestraft für ihren Versuch, eine effektive Verteidigung zu gewährleisten.
In einem Punkt haben Sie aber recht: Von einer “Verschwörung von einflussreichen Organisationen der Staatsanwälte” kann tatsächlich keine Rede sein. Die machen das ganz offen: https://www.nzz.ch/schweiz/effiziente-kriminalitaetsbekaempfung-staatsanwaelte-wollen-einfluss-auf-gesetzgebung-staerken-ld.1540550#register
@GM: Danke dafür.
Effiziente Sieglungsverfahren können übrigens auch im Interesse der beschuldigten Person sein. Es kann doch nicht sein, dass das Gericht bei einem gesiegelten Mobiltelefon 1 Monat Zeit hat, um über die Siegelung zu entscheiden. Gerade in Haftfällen ist diese Frist viel zu lange und das Sieglungsgesuch wird für den Beschuldigten schnell zum Schuss ins eigene Bein. In vielen Fällen hat man als Verteidiger nur noch die Wahl auf die Sieglung zu verzichten oder eine unnötig lange Untersuchungshaft des Klienten in Kauf zu nehmen.
@Thomas Lieven: So ist es.
Den Verteidigern bleiben noch genügend Möglichkeiten, das Strafverfahren zu torpedieren und zu verzögern, auch ohne Entsiegelung. Also eher ein Sturm im Wasserglas.
Es ist praxis in einigen kantonen, auf beschwerden gegen hausdurchsuchungen mangels aktuellen interesses nicht einzutreten. Eine prüfung, ob die hd zulässig war, insbes. Ob ein genügender tatverdacht bestand, kann somit eigentlich nur über die siegelung geschehen. Insofern darf die siegelung nicht zu sehr verachtet werden, auch wenn vielleicht gewisser reformbedarf besteht.
Wieso genau soll der Beitrag von Graf «veraltet» sein? Der Entwurf der Rechtskommission des Nationalrats stimmt nämlich in weiten Teilen mit den Anpassungsvorschlägen von Graf überein (Beschränkung der Siegelungsgründe auf Art. 264 StPO, keine double instance, Anpassung der Frist zur Stellung des Siegelungsantrags, ein strafferes – wenn auch vergleichsweise kompliziert umschriebenes – Entsiegelungsverfahren), was erfreulich ist:
«Art. 248
1 Macht die Inhaberin oder der Inhaber geltend, bestimmte Aufzeichnungen oder Gegenstände dürften aufgrund von Artikel 264 nicht beschlagnahmt werden, so versiegelt die Strafbehörde diese. Die Inhaberin oder der Inhaber hat das Begehren innert drei Tagen seit der Sicherstellung vorzubringen. Während dieser Frist und nach einer allfälligen Siegelung darf die Strafbehörde die Aufzeichnungen und Gegenstände weder einsehen noch verwenden.
2 Stellt die Strafbehörde nicht innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der Inhaberin oder dem Inhaber zurückgegeben.
Art. 248a
1 Stellt die Strafbehörde ein Entsiegelungsgesuch, so ist für den Entscheid zuständig: a. im Vorverfahren und im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht: das Zwangsmassnahmengericht; b. in den anderen Fällen: die Verfahrensleitung des Gerichts, bei dem der Fall hängig ist.
2 Stellt das Gericht nach Eingang des Entsiegelungsgesuches fest, dass die Inhaberin oder der Inhaber nicht mit der an den Aufzeichnungen oder Gegenständen berechtigten Person identisch ist, so informiert es diese über die Siegelung. Es gewährt der berechtigten Person auf Verlangen Akteneinsicht.
3 Das Gericht setzt der berechtigten Person eine nicht erstreckbare Frist von 10 Tagen, innert der sie Einwände gegen das Entsiegelungsgesuch vorzubringen und sich dazu zu äussern hat, in welchem Umfang sie die Siegelung aufrechterhalten will. Stillschweigen gilt als Rückzug des Siegelungsbegehrens.
4 Das Gericht entscheidet innert 10 Tagen nach Eingang der Stellungnahme im schriftlichen Verfahren endgültig, wenn die Sache spruchreif ist.
5 Andernfalls setzt es innert 30 Tagen seit Eingang der Stellungnahme eine nicht öffentliche Verhandlung mit der Staatsanwaltschaft und der berechtigten Person an. Die berechtige Person hat die Gründe glaubhaft zu machen, weshalb und in welchem Umfang die Aufzeichnungen oder Gegenstände nicht entsiegelt werden dürfen. Das Gericht fällt seinen Entscheid unverzüglich; dieser ist endgültig.
6 Das Gericht kann:
a. eine sachverständige Person beiziehen, um den Inhalt der Aufzeichnungen und Gegenstände zu prüfen, den Zugang zu diesen zu erhalten oder deren Integrität zu gewährleisten;
b. in Angehörige der Polizei als sachverständige Personen bezeichnen, um den Zugang zum Inhalt der Aufzeichnungen und Gegenstände zu erhalten oder deren Integrität zu gewährleisten.
7 Bleibt die berechtigte Person der Verhandlung unentschuldigt fern und lässt sie sich auch nicht vertreten, so gilt das Siegelungsbegehren als zurückgezogen. Erscheint die Staatsanwaltschaft nicht, so entscheidet das Gericht in deren Abwesenheit.»
@RK NR: Smarter Kommentar. Der neue Text 248a unterstand bis heute früh dem Kommissionsgeheimnis. Graf kannte ihn genauso wenig wie RK NR und ich, oder?