Strafbare Türkeireise
Das Bundesgericht bestätigt in Dreierbesetzung die Verurteilung eines Mannes, der unmittelbar vor seinem Abflug in die Türkei verhaftet wurde (BGer 6B_948/2016 vom 22.02.2017). Er wollte sich dem IS anschliessen und als Märtyrer streben. Sowas ist in der Schweiz – nun auch höchstrichterlich bestätigt – strafbar (vgl. Art. 2 Al-Qaïda/IS-Gesetz).
Die zitierte Bestimmung ist gemäss Bundesgericht konkret i.S.v. Art. 1 StGB konkret genug.
Die Vorinstanz weist zunächst zutreffend darauf hin, dass die Generalklausel der „Förderung auf andere Weise“ gemäss Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz das strafbare Verhalten in einer Weise umschreibt, welche in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa) von Art. 1 StGB steht (krit. namentlich POPP/BERKEMEIER, in: Basler Kommentar, 3. Aufl. 2013, Art. 1 StGB N 46; EICKER, a.a.O., Rz. 17). Die Vorinstanz nimmt daher zu Recht an, soweit man für die Begründung der Strafbarkeit bereits eine äquivalente Kausalität zwischen einer Tathandlung und den Verbrechen des IS als ausreichend ansehen wollte, würden alle denkbaren Fälle erfasst, so dass nicht mehr vorhersehbar wäre, welches Verhalten vom Tatbestand erfasst wird. Damit würde in der Tat die Grenze zwischen strafbarem und erlaubtem Verhalten verwischt. Dass der Gesetzgeber allgemeine Begriffe verwendet, die nicht eindeutig allgemeingültig umschrieben werden können und deren Auslegung und Anwendung er der Praxis überlassen muss, lässt sich indes nicht vermeiden (BGE 141 IV 279 E. 1.3.3; 138 IV 13 E. 4.1; Urteil 6B_771/2011 vom 11. Dezember 2012 E. 2.4 [nicht publ. in BGE 139 IV 62]; vgl. auch LAURA JETZER, Das Bestimmtheitsgebot im Kartellstrafrecht, recht 2013, S. 171 f.). Soweit sich jedenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden Tragweite und Anwendungsbereich der Bestimmung zuverlässig ermitteln lassen, ist die Verwendung von Allgemeinbegriffen regelmässig unbedenklich (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 4. Aufl., 2011, § 4 N. 14 f.; SCHÖNKE/SCHRÖDER-ESER/HECKER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 29. Aufl. 2014, N. 20 zu § 1). In diesem Sinne schränkt die Vorinstanz im zu beurteilenden Fall das mit Strafe bedrohte Verhalten zutreffend ein, indem sie auf eine gewisse Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS abstellt (angefochtenes Urteil S. 22). Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebot ist nicht zu erkennen (E. 4.2.1).
Damit ist auch klar, dass sich solche Fälle allein über die Sachverhaltsdarstellung entscheiden. Ist diese konkret genug, ist der Tatbestand automatisch erfüllt. Das ergibt sich auch aus der Erwägung zum Schuldspruch:
Doch muss für die Beantwortung der Frage, welche Handlungen als Förderung der Aktivitäten der verbotenen Organisationen zu würdigen sind, auf den jeweiligen Kontext abgestellt werden. In diesem Sinne geht die Vorinstanz im zu beurteilenden Fall zu Recht davon aus, der IS werde in seiner verbrecherischen Tätigkeit auch dann gefördert, wenn sich eine Einzelperson von ihm so beeinflussen lasse, dass sie dessen radikalisierende Propaganda in objektiv erkennbarer Weise bewusst weiterverbreite oder sich im vom IS propagierten Sinn gezielt aktiv verhalte (angefochtenes Urteil S. 21). Ob dieses Verhalten, wie die Vorinstanz annimmt, unter die Tathandlung der „Unterstützung“ oder unter die Generalklausel der „Förderung auf andere Weise“ gefasst wird, ist einerlei (vgl. EICKER, a.a.O., Rz. 16). Jedenfalls kommt dem Aufbruch nach Syrien, um sich dem IS anzuschliessen und in den Jihad aufzubrechen, für zurückgebliebene potentielle Nachahmer eine erhebliche propagandistische Wirkung zu. Indem der Beschwerdeführer den vom IS über das Internet und soziale Netzwerke verbreiteten Aufrufen, sich dem „heiligen Krieg“ in Syrien mit dem Ziel der Errichtung eines islamischen Staats anzuschliessen, gefolgt ist, hat er indes nicht nur Bewunderung bei Gleichgesinnten ausgelöst, eine mögliche Nachahmung begünstigt und der Anziehungskraft der terroristischen Gruppierung Vorschub geleistet. In der Identifizierung mit den Zielen des IS und damit auch mit der Art und Weise, wie diese verfolgt werden, ist vielmehr auch eine aktive Werbung für diese Ziele zu sehen. Diese umfassen namentlich auch die von der terroristischen Gruppierung mit grosser Grausamkeit verübten Verbrechen, deren Videoaufnahmen über ihre Medienbüros weltweit verbreitet werden (E. 4.2.2, Hervorhebung durch mich).
Interessant wäre die Kenntnis der vollständigen Anklageschrift.
Bleibt nur noch zu sagen: Endlich konkret!
„Jedenfalls kommt dem Aufbruch nach Syrien, um sich dem IS anzuschliessen und in den Jihad aufzubrechen, für zurückgebliebene potentielle Nachahmer eine erhebliche propagandistische Wirkung zu.“
Aufbruch mal zwei und inwiefern sind die potentiellen Nachahmer „zurückgeblieben“ (mental oder örtlich)?
Verstehe ich das richtig, dass wer still und heimlich aufbricht, ohne zurückgebliebenen potentiellen Nachahmern etwas vom Aufbruch in den Jihad zu erzählen, und dann am Flughafen festgenommen wird, sich nach der Logik dieses Urteils nicht strafbar macht?
Und, wenn es objektiv um eine sehr niederschwellige propagandistische Förderung geht, müsste sich doch auch der Vorsatz auf diese Förderung beziehen, und eben nicht nur auf die beabsichtigte personelle Unterstützung. Oder soll etwa im Umstand, dass nicht die beabsichtigte personelle Unterstützung, sondern lediglich eine niederschwellige propagandistische Förderung eingetreten sei, eine unerhebliche Kausalabweichung zu sehen sein, die für den Vorsatz nicht erheblich ist?
Ihre erste Frage lässt sich klar mit Nein beantworten, wenn man den Wortlaut des Entscheids ernst nimmt. Wie das Bundesgericht ausführt, sei das Bundesstrafgericht – welches die Norm Gottseidank in einer mit dem Bestimmtheitsgebot verträglichen Weise ausgelegt hat – zu Recht davon ausgegangen, „der IS werde in seiner verbrecherischen Tätigkeit auch dann gefördert, wenn sich eine Einzelperson von ihm so beeinflussen lasse, dass sie […] sich im vom IS propagierten Sinne gezielt aktiv verhalte“. Auf eine Aussenwirkung kommts im Grunde genommen nicht an, die Tathandlung kann ein Richtung Mekka beten oder ein Vollschleier tragen sein. Das können die Strafbehörden auf Grundlage des Al-Qaida/IS-Gestzes unterbinden, sobalds ihnen der Sicherheit zu liebe zu heikel wird und sobald in subjektiver Hinsicht der Tatverdacht besteht, die betroffene Person habe sich „den Wertekanon des IS zu eigen gemacht“.
Die zweite Frage scheint mir etwas dogmatischer Art zu sein. Die Auslegung nach Dogmas bzw. Leitlinien des herkömmlichen Repressionsstrafrechts, wie etwa des Bestimmtheitsgebots, des Verbot des Gesinnungsstrafrechts etc. sind vom Gesetzgeber bei sicherheitsrechtlichen Strafbestimmungen wie denjenigen des Al-Qaida/IS-Gesetzes aber wohl gar nicht intentiert. Soweit es die Gerichte trotzdem tun, liegt es daran, dass die Verteidigung offensichtlich trotzdem diesen althergebrachten Grundsätzen argumentiert hat (was sollte sie sonst tun?) und die Gerichte nicht offenlegen wollen/können, dass diese im Grunde genommen nichts mehr Wert sind.
Da das Bundesgericht in E. 4.2.2 zumindest auch ausführt, der Beschwerdeführer habe den IS durch sein Verhalten propagandistisch unterstützt, bin ich davon ausgegangen, dass die von Ihnen zitierte Wendung (hoffentlich) nur eine nicht wörtlich zu nehmende Floskel sei. Wird diese Erwägung aber ernst genommen, so kann das Problem nicht mehr ernsthaft als Problem des Bestimmtheitsgebotes diskutiert werden. Wenn das Gericht die Bedeutung von Wörtern nicht mehr nur im Sinne einer Auslegung konkretisiert, sondern komplett neu erfindet, damit sich ein Sachverhalt unter den unscharfen Wortlaut einer Norm subsumieren lässt, dann kommt es auf das Bestimmtheitsgebot auch nicht mehr an.
Sie haben selbstverständlich recht. Wenn dass BGer selber ernst genommen hätte, was es bestätigt hat, hätte es die von ihnen thematisierte Unterscheidung gar nicht behandeln müssen.