Strafbares Schweigen
Das Bundesgericht klärt in Dreierbesetzung eine umstrittene Rechtsfrage zu Art. 148a StGB (BGer 6B_1015/2019 vom 04.12.2019). Es
Das Bundesgericht schliesst sich der Minderheitsmeinung von Donatsch an und lässt das blosse Verschweigen, das zu einem unrechtmässigen Bezug von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe führt, genügen:
Die Ansicht von ANDREAS DONATSCH überzeugt. Die in den zitierten Kommentaren vertretenen Meinungen (oben E. 4.5.4) übergehen die in der Botschaft begründeten Motive der Gesetzgebung, so dass der von ihnen vertretenen Auslegung der Tatbestandsvariante des “Verschweigens” nicht gefolgt werden kann. Weder ist dieser Variante eine eigenständige Bedeutung abzusprechen noch dagegen einzuwenden, durch den Schutz des berechtigten Personen zustehenden Sozialvermögens werde die öffentliche Hand privilegiert. Insbesondere aber muss die Auslegung von Art. 148a StGB im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 146 StGB, wie sie in BGE 140 IV 11 dargelegt ist, daran scheitern, dass Art. 148a StGB keinen Betrugstatbestand kodifiziert. Die Forderung der Beschwerdeführerin, die Strafbarkeit des Verschweigens an das “entsprechende aktive Nachfragen des Leistungserbringers” zu knüpfen, würde erfordern, das verpönte Verhalten ohne Anhaltspunkt in Gesetzeswortlaut und Gesetzesmotiven als arglistig zu bestimmen und dieser Handlungsvariante tatsächlich die eigenständige Bedeutung abzusprechen. Eine kohärente Auslegung des Tatbestands müsste ebenso für die Handlungsvarianten Arglist voraussetzen. Das alles widerspricht der ratio legis (E. 4.5.6).
Eine der Folgen war der Landesverweis, den das Bundesgericht ebenfalls stützt. Wer schweigt, kann des Landes verwiesen werden.
Wenn doch eine Strafnorm umstritten ist, wie soll der einfach Bürger dann erkennen, welches Verhalten (oder Unterlassen) strafbar ist? Müssen Strafnormen nicht klar verständlich sein, damit eben jede Person sich danach richten kann?
Wenn Sie Sozialhilfe etc. beziehen, wird ihnen mündlich und schriftlich erklärt, dass Sie jegliches Einkommen melden müssen. Wie kann es da unverständlich sein, dass sie jegliches Einkommen nicht verschweigen dürfen?
Aber nicht nur die Erklärungen der Sozialbehörden sind unmissverständlich: Der Gesetzestext ist es ebenfalls: Wer jemanden […] durch Verschweigen von Tatsachen […] irreführt oder in einem Irrtum bestärkt, sodass er oder ein anderer Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bezieht, die ihm oder dem andern nicht zustehen… (Art. 148a Abs. 1 StGB).
Nur weil einige Juristen sich über die Auswirkungen dieses Textes streiten, heisst eben nicht, dass der Laie, der Einkommen nicht meldet, genau weiss, dass er etwas falsches macht. Oder meinen Sie, sie bekommen tatsächlich volle Sozialhilfe oder volle Arbeitslosenentschädigung und dazu noch das Einkommen, dass Sie generieren?
Lieber herr lieven, so einfach ist es eben nicht. Wenn Sie das sozialsystem etwas kennen, dann werden Sie feststellen, dass es noch schnell einmal passiert ist, dass hinterher festgestellt werden muss, dass eine leistung zuviel ausbezahlt wurde. Mit diesem tatbestand bzw. Mit dem verständnis nach bg müsste sich in jedem fall von zuviel bezahlter sozialleistung immer auch eine strafbarkeit nach 148a ergeben. Das geht offensichtlich zu weit und hat mit einem schuldstrafrecht nicht mehr viel zu tun. Das grosi, das zu wenig vermögen bei der el angegeben hat und rückerstatten muss (solche fälle sind nicht selten), fällt dann auch darunter. Ich freue mich schon auf diese fälle und die politiker, die dann sagen, so habe man dies nicht gemeint.
@ Sozialleistung:
Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Vorsatz- und einem Fahrlässigkeitsdelikt?
@ Frau Nym. Kleiner Nachtrag: Wenn die Meldepflicht verletzt wird, kann man wohl Vorsatz dafür haben. Der Vorsatz von 148a StGB müsste aber auch die damit verbundene Leistungszusprache umfassen, das heisst den Erfolg. Welche leistungsmässigen Auswirkungen ein Umstand hat, hat aber der Versicherungsträger zu prüfen. Vom Versicherten kann m.E. nur verlangt werden, dass er Umstände meldet, die eine Auswirkung auf den Leistungsanspruch haben könnten (so auch Art. 31 ATSG). Das erfordert, dass der Versicherte weiss, was für Umstände das sind. Darüber wird in den Merkblättern informiert. Wenn der Versicherte Umstände nicht meldet, die er gemäss Merkblatt melden sollte, kann man einen Vorsatz für die Meldepflichtverletzung daher auch vertretbar annehmen. Aus der Tatsache, dass ich Umstände melden muss, von denen in Betracht fällt, dass sie eine Auswirkung auf den Leistungsanspruch haben könnten, kann aber m.E. noch nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass ich auch einen Erfolg will. Es gibt unzählige Umstände, die man melden muss, die aber nicht unbedingt eine Auswirkung auf den Leistungsanspruch haben müssen (aber sehr wohl könnten und der Meldepflicht deshalb unterliegen). Es führt doch zu weit, bei all diesen Fällen einen 148a oder einen Versuch dazu anzunehmen, obwohl der Vorsatz für die Meldepflichtverletzung bejaht werden müsste. Vielleicht müsste man eine hypothetische Überlegung anstellen: Wie wäre es gewesen, wenn ich den fraglichen Umstand gemeldet hätte. Wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen gewesen (und der Versicherte hat dies auch erkannt), dass eine tiefere Leistung resultiert hätte, wenn nur gemeldet worden wäre.
@Frau Nym: Doch, davon habe ich auch schon gehört. Was wollen Sie damit andeuten?