Strafe trotz Wiedergutmachung

Wiedergutmachung schützt (zumindest in der Schweiz, wo Strafrecht angeblich ultima ratio ist) vor Strafe nicht. Es ist deshalb nicht bundesrechtswidrig, eine geständige Putzfrau, die dem Sozialamt gegenüber Einkünfte über CHF 5.790.00 verschwiegen hatte und diese zurückzahlt, i.S.v. Art. 148a StGB zu verurteilen (BGer 6B_51/2021 vom 11.06.2021, Fünferbesetzung):

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin entfällt das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung nicht automatisch, wenn der Täter volle Wiedergutmachung geleistet respektive alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen, und die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe gemäss Art. 42 StGB erfüllt. Zwar ist die Strafbefreiung gemäss Art. 53 StGB bei Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen zwingend (vgl. Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes] und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht; FRANZ RIKLIN, a.a.O., N. 42 zu Art. 53 mit Hinweisen), jedoch übersieht die Beschwerdeführerin, dass neben den von ihr erfüllten Voraussetzungen des bedingten Strafvollzugs und der Wiedergutmachungsbemühungen als zusätzliche Voraussetzung für ein Absehen von Strafe auch ein geringes öffentliches Strafverfolgungsinteresse gegeben sein muss (E. 3).

Im vorliegenden Fall lag das nicht geringe Strafverfolgungsinteresse in der – festhalten! – Generalprävention:

Die Vorinstanz begründet das öffentliche Interesse mit generalpräventiven Strafzwecken. Die unterschiedlichen Strafzwecke bilden nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ein komplexes Verhältnis wechselseitiger Ergänzung, wobei je nach Sachzusammenhang das eine oder das andere Kriterium stärker hervortritt. Sie sind gegeneinander abzuwägen und in eine Rangfolge zu bringen. Zwar kommt dem Anliegen der Spezialprävention grundsätzlich Vorrang zu, jedoch schliesst das die Berücksichtigung generalpräventiver Zwecke nicht aus (zum Ganzen eingehend: BGE 134 IV 1 E. 5.4.1; Urteil 6B_43/2007 vom 12. November 2007 E. 4.4.1 und 4.4.3 a.E., nicht publ. in BGE 134 IV 53; je mit Hinweisen; vgl. auch Art. 42, Art. 43 und Art. 75 Abs. 1 StGB; BGE 135 IV 12 E. 3.4.3; SILVAN FAHRNI, Wiedergutmachung als Voraussetzung einer diversionellen Verfahrenserledigung, in: Auf dem Weg zu einem einheitlichen Verfahren, Schindler/Schlauri [Hrsg.], 2001, S. 205). Da vorliegend spezialpräventive Überlegungen bereits bei Gewährung des Strafaufschubs als Voraussetzung der Wiedergutmachung zwingend zu berücksichtigen sind, überschreitet die Vorinstanz im Rahmen der Abwägung der unterschiedlichen Strafzwecke unter den gegebenen Umständen das ihr zustehende Beurteilungsermessen nicht, indem sie spezialpräventiven Zwecken den Vorrang gibt (vgl. Urteil 6B_346/2020 vom 21. Juli 2020 E. 2.3; siehe auch: BGE 135 IV 12 E. 3.4.3; FRANZ RICKLIN, a.a.O., N. 25 zu Art. 53 StGB). Dass die Vorinstanz die Prüfung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung gemäss Art. 53 StGB in seiner aktuellen und nicht in der bis zum 30. Juni 2019 geltenden Fassung vorgenommen hat, ist für den Verfahrensausgang unerheblich, da sich die sachlichen Beurteilungskriterien, namentlich die abzuwägenden Strafzwecke, nicht geändert haben

Damit kommen fünf Bundesrichterinnen und -richter zum Schluss, dass man unterschiedliche Strafzwecke gegeneinander abwägen muss und dass Generalprävention nach Strafe verlangt, weil Spezialprävention bereits beim Strafaufschub berücksichtigt wurde? Wird zuerst über den Strafaufschub und dann erst über die Strafe entschieden? Egal ist übrigens, dass die Vorinstanz offensichtlich nicht einmal gemerkt hat, dass Art. 53 StGB geändert wurde.