Strafenbildung bei (teilweise) retrospektiver Konkurrenz
In einem zur Publikation in der AS vorgesehenen Entscheidung (BGE 6B_684/2011 vom 30.04.2012) äussert sich das Bundesgericht erneut über die Strafzumessungstechnik bei (teilweise) retrospektiver Konkurrenz (Art. 49 StGB). Die Praxis zum alten Recht ist weiterhin massgebend. Entscheidend ist demnach nicht die Gleichartigkeit der abstrakt angedrohten Strafen, sondern die Gleichartigkeit die – wenn mehrere Strafarten zur Verfügung stehen – im Einzelfall konkret zu wählende Strafart:
Das alte Recht hielt in aArt. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ausdrücklich fest, dass für die Gesamtstrafenbildung die konkret verwirkte Strafe massgeblich ist (“Hat jemand … mehrere Freiheitsstrafen verwirkt”; vgl. auch BGE 75 IV 2 E. 1). Die Praxis zu aArt. 68 StGB ist weiterhin massgebend. Demgemäss sind im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB “die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt”, wenn das Gericht im konkreten Fall für jeden einzelnen Normverstoss gleichartige Strafen ausfällte. Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen androhen, genügt nicht (…).
Für die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz gemäss Art. 19 Ziff. 2 BetmG als schwerste Straftat ist vorliegend zwingend eine Freiheitsstrafe auszusprechen. Für die Delikte, die der Beschwerdegegner nach der Verurteilung durch das Amtsgericht Bergen auf Rügen begangen hat, sind je alternativ Freiheitsstrafe oder Geldstrafe möglich (Art. 91 Abs. 1 SVG, Art. 181 und 186 StGB). Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz für diese Straftaten eine Geldstrafe verhängt. Das Prinzip der Verhältnismässigkeit gebietet, dass bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall jene gewählt werden soll, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft (BGE 134 IV 97 E. 4.2.2) [E. 5.2].
So wie ich den Entscheid beurteile, bringt Lausanne damit die Praxis der Schweizer Strafrichter gehörig durcheinander. Es handelt sich m.E. um eine Praxisänderung zu Ungusten der/des Angeschuldigten, da die Asperation seltener Anwendung finden wird. Es stellt sich die Frage, inwiefern diese Praxisänderung auf Taten vor dem Publikationsdatum anwendbar ist. Was im allgemeinen Verwaltungsrecht verboten ist, kann ja im Strafrecht nicht erlaubt sein, oder?