Straffreie Beschimpfung
Eine Mitarbeiterin des Kantonsgerichts SH hat einen “Kunden” auf dessen Combox beschimpft (“Ruf zurück du Neger”). Sie hatte dabei offenbar geglaubt, die Verbindung mit der Combox sei bereits beendet.
Den Rest des Sachverhalts verstehe ich vom Ablauf her nicht, denn offenbar hat der “Kunde” auf die “Beschimpfung” umgehend reagiert und die Mitarbeiterin als “pute” bezeichnet. Das war dann auch der Grund für die Strafbefreiung der Mitarbeiterin. Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ab (BGer 6B_480/2024 vom 20.11.2024):
Auch wenn man vom Sachverhalt ausgeht, wie ihn die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht ergänzt haben will, verstösst die vorinstanzliche Strafbefreiung nicht gegen Bundesrecht. Vielmehr liegt auf der Hand, dass ein enger Zusammenhang zwischen den ehrverletzenden Ausdrücken “Neger” und “pute” besteht. Der Privatkläger hörte auf der Combox-Nachricht, dass ihn die Beschwerdegegnerin als “Neger” betitelt hatte und entschloss sich deswegen zu einer Strafanzeige. Es ist nicht bekannt, wann der Privatkläger die Combox-Nachrichten zur Kenntnis nahm. Jedenfalls verging aber nur eine äusserst kurze Zeit, bis er zu Beweiszwecken die Combox-Nachrichten aufzeichnete und dabei die Beschwerdegegnerin als “pute” bezeichnete. Vor diesem Hintergrund durfte die Vorinstanz ohne weiteres annehmen, dass der Privatkläger sich durch seine ehrenrührige Äusserung hinreichend Gerechtigkeit verschafft hat. Ein öffentliches Interesse an der Bestrafung der Beschwerdegegnerin durfte die Vorinstanz angesichts der ganzen Umstände verneinen.
Verurteilt und bestraft wurde hingegen der Kunde für den Ausdruck “pute”.
Thougts?
1. Ressourcenverschwendung durch die Staatsanwaltschaft SH (und alle weiteren Justizbehörden) für eine offenkundige Banalität.
2. Latente/r und/oder offene/r Rassismus/Fremdenfeindlichkeit an Schweizer Gerichten erstaunt nicht.
3. Dass nur der Kunde verurteilt und bestraft wird, bestätigt die Behauptung in Ziffer 2.
#1 delegitimiert deine korrekten Ausführungen #2 & #3
Handelt “Ebenso wenig braucht hier geprüft zu werden, ob die Bestrafung des Privatklägers in Revision gezogen werden kann, weil sie mit dem vorliegenden Strafentscheid, der den gleichen Sachverhalt betrifft, in unverträglichem Widerspruch steht” von einem abgeschlossenen Strafverfahren, or nur über dessen hypothetischen Ausgang?
Heisst das, ich darf gestützt auf diesen Entscheid Parteien beschimpfen und wenn sie sich wehren, dann wird man die beschimpften Personen bestrafen? Ich danke für Klärung.
@Richter: Diesen Schluss darf/muss man aus dem Urteil ziehen. Wenn sich die Partei aber nicht wehrt, dann hängt man Sie.
Dann darf ich auch einem
In die Fresse hauen wenn er sich dann wehrt wird er bestraft? Was wird hier eigentlich bestraft? Die quasi Amtsanmassung das
Man sich erdreistet ins staatliche Strafmonopol einzugreifen?
Das macht ja gar keinen Sinn … Ein Strafbedürfnis bestehe nicht, weil sich der Privatkläger schon selber Gerechtigkeit verschafft habe, aber er selber wird bestraft, weil er sich gewehrt hat? Das wirkt auf mich so, als ob das Bundesgericht das Verhalten der Mitarbeiterin des Kantonsgerichts SH im Prinzip bestätigt.
Schwachsinniges Urteil
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kommt die Strafbefreiung zum Zug “wenn die streitenden Teile sich selber schon an Ort und Stelle Gerechtigkeit verschafft haben und der Streit zu unbedeutend ist, als dass das öffentliche Interesse nochmalige Sühne verlangen würde”.
M.E. wurde hier keine Gerechtigkeit an Ort und Stelle verschafft. Der Kunde hat erst später – nach Abhörung der Combox-Nachricht – von der Beschimpfung erfahren. Seine Antwort gelang in der Folge auch erst viel später an die Mitarbeiterin des Gerichts. Zudem bin ich mit der StA eins, dass hier vorliegend ein öffentliches Interesse besteht, wenn eine Mitarbeiterin eines Gerichts im Rahmen ihrer Amtsausführung eine Beschimpfung begeht.
@Anonym: Sehe es ähnlich, aber ich bin nicht sicher, wie sich der Sachverhalt seitens des Kunden genau zugetragen hat. Das geht aus dem Entscheid nicht deutlich genug hervor.
Mich stört an diesem Urteil – auch wenn es ein Bagatellfall ist –, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Retorsion nicht gegeben waren, wenn ich den Sachverhalt richtig verstanden habe. Der Privatkläger hat die Beschuldigte nicht direkt beschimpft, sondern bei der zu Beweiszwecken erfolgten Aufnahme der Combox-Mitteilung gesagt, er werde gegen diese “pute” Anzeige erheben (zit. Urteil E. 2.2.3). Die Beschuldigte dürfte diese Aufnahme erst Monate später gehört haben und sicherlich nicht bereits wenige Stunden nach ihrer Beschimpfung des Privatklägers. Für die Frage, ob die Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 3 StGB unmittelbar erwidert wurde, wird doch wohl eine Rolle spielen müssen, ob die ursprünglich beschimpfende Person die “Gegenbeschimpfung” auch tatsächlich (unmittelbar) wahrnimmt (vgl. BGE 72 IV 20 E. 2: “an Ort und Stelle Gerechtigkeit verschafft”). Das war hier – entgegen den Erwägungen des Bundesgerichts und der Vorinstanz (E. 2.3.2) – sicherlich nicht der Fall.
Genau das ist der Punkt und deswegen ist dieser Entscheid schlicht und ergreifend max. rassistisch.
Der Säuhäfelistaat hat wiedermal ganze Arbeit geleistet und seine hässliche Fratze gezeigt. „Neger“ das ja nicht nur eine Beschimpfung ist sondern auch noch Rassendiskriminierend ist, wird nicht bestraft während die „pute“ aber wird. Man kann den Staat und seine „Rechstaatlichkeit“
Halt wie länger wie weniger Ernst nehmen, glücklicherweise erkennen das immer mehr, irgendwann sind wir am Kipppunkt und die Helfers Helfer werden verfolgt.
Leider ist in Schaffhausen die Diskriminierung allgegenwärtig. Egal ob Ausländer, Ausserkantönler, Frauen, Gender und vieles mehr. Dieses Verhalten ist seit den 80er Jahren wohl mehrheitlich aus der Gesellschaft verschwunden…aber nicht in SH. Der Föderalismus schützt diese Schweiz weit schwache Staatsanwaltschaft. Leider ist es in der Schweiz nicht möglich, ausser man hat ein dickes Konto, oder ist selber Anwalt, straffällig gewordene Staatsanwälte anzuzeigen, wie auch Freunde des Systems, welche dicke Strafakten besitzen, aber selten verurteilt werden. Es ist möglich, wenn man befreundet ist, den Staatsanwalt seines Vertrauens anzurufen, um sich Bussen und Strafanzeigen, verschwinden zu lassen. Beweismittel dazu interessiert, niemanden.
> Es ist möglich, wenn man befreundet ist, den Staatsanwalt seines Vertrauens anzurufen, um sich Bussen und Strafanzeigen, verschwinden zu lassen.
Diese Vermutung teile ich aufgrund folgender Erfahrungen:
1. Ich habe einmal zwei kantonale Mitarbeiter (Schaffhausen) wegen eines Verstosses gegen das Amtsgeheimnis angezeigt.
2. Über mehrere Monate erhielt ich keinerlei Rückmeldung von der Staatsanwaltschaft.
3. Als ich der kantonalen Mitarbeiterin einen Vergleich anbot, wurde bereits am nächsten Tag die Nichtanhandnahmeverfügung erlassen.
In den Akten fand sich keinerlei Kommunikation zwischen den Beiden, somit ist die zeitliche Nähe wohl ein “reiner Zufall” 😉
Weitere auffällige Hinweise:
– Die betreffende kantonale Mitarbeiterin war früher selbst bei der Staatsanwaltschaft tätig.
– Der zuständige Staatsanwalt (Philipp Zumbühl) und die Mitarbeiterin waren zur gleichen Zeit an derselben Universität.
Übrigens der Staatsanwalt begründete seine Nichtanhandnahme sinngemäss mit “Die Beurteilung, ob eine Handlung den Tatbestand einer Straftat erfüllt, obliegt der Staatsanwaltschaft.”, somit die (früher bei der Staatsanwaltschaft arbeitende) Mitarbeiterin ja nicht wissen konnte, ob sie eine Straftat begeht und niemand bestraft werden kann, der glaubt, im Recht zu handeln xD Ich bin mir sicher, dass er selbst am meisten gelacht hat.
Phu, warum dieser latente Aufruf zu Gewalt? Und wo bleibt die Moderation?
Gewaltaufruf? Wer?
Staatsgewalt?
> Wo bleibt die Moderation?
Wie unterschiedlich die Ansichten doch sein können…
Es wäre ungefähr so, als würde ich “Zensur” rufen, nur weil einige Kommentare, die für KJ offenbar als “unsachlich” gelten, nicht veröffentlicht wurden.
Ich bin fassungslos. War da die versammelte AfD/SVP-Fraktion am Bundesgericht hinter dem Pult oder was ist da los? Wie kann es sein, dass eine Äusserung diese “pute”, die das Opfer für sich allein gemacht hat, zu einer Retorsion führt? Da beschimpft eine Angestellte am Gericht einen anderen Menschen rassistisch und die kommt strafffrei raus? Weil der beschimpfte im privaten Umfeld, nicht (unmittelbar) gegen die Täterin gerichtet und ohne, dass sie es jemals hätte erfahren können, als “pute” bezeichnet?
Das verstehe wer will, mit Recht oder Gerechtigkeit hat das nichts zu tun.
Als klassicher Beleg dafür, dass Rechtsprechung ein Euphemismus ist, während Rechtsprechung doch gerade das Gegenteil ist: ein Prozess der Rechtabsprechung.
Bitte nicht so viel Polemik in einem strafprozessrechtsblog, wo es doch (auch?) um straafprozessrecht geht. In e. 2.3.4 erklärt das Bundesgericht, weshalb es im Urteil nicht um die Bestrafung des anderen ging. Es war schlicht nicht Gegenstand des vorliegend zu beurteilenden Verhaltens der kantonsmitarbeiterin. Prozessrecht eben. Und prozessrechtlich ist das alles richtig oder hat hier jmd. Eine (fundierte) andere Meinung?
@P.O. Lemik : genau so ist……aber man kennt es ja: zuerst einmal gross aufschrein und heisse Luft produzieren…
Polemik? Wo wird hier persönlich jemand (ohne sachliche Argumente) angegriffen?
Andere fUnDiErTe Meinung?
Die Strafbefreiung bei Retorsion gemäss Art. 177 Abs. 3 StGB ist ein umstrittenes Thema. Es gibt verschiedene fUnDiErTe Meinungen dazu, ob und in welchem Umfang diese Regelung angewendet werden sollte. Im vorliegenden Fall gibt es gute Gründe, die Strafbefreiung kritisch zu hinterfragen.
Kritik 1: Man könnte argumentieren, dass die rassistische Beschimpfung durch A schwerer wiegt als die Beschimpfung durch B. Eine getrennte Beurteilung der Fälle könnte dazu führen, dass A trotz schwerer wiegender Beschimpfung straffrei bleibt, während B bestraft wird.
Kritik 1.1: Bei der Strafbefreiung war jedoch die Beschimpfung und das Verhalten der Gegenpartei Gegenstand des Verfahrens. Umgekehrt, aber nicht??
Kritik 2, Ungleichgewicht der Beschimpfungen: Wie bereits erwähnt, kann die Strafbefreiung bei Retorsion zu einem Ungleichgewicht führen, wenn die ursprüngliche Beschimpfung (hier rassistisch motiviert) schwerer wiegt als die Erwiderung. Dies kann als ungerecht empfunden werden, insbesondere für das Opfer der ersten Beschimpfung.
Kritik 3: Rassistische Beschimpfungen: Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der ursprünglichen Beschimpfung um eine rassistische Äusserung. Rassistische Beschimpfungen sind besonders verletzend und haben eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Es ist fraglich, ob die Strafbefreiung bei Retorsion in solchen Fällen angemessen ist.
Kritik 4: Arbeitsplatz Staat/Staatsangestellte: Die Tatsache, dass die Beschimpfung im beruflichen Kontext stattgefunden hat, wirft zusätzliche Fragen auf. So könnte argumentiert werden, dass von einer Kantonsmitarbeiterin ein besonders hoher Standard an Professionalität und Respekt erwartet werden sollte.