Strafloser untauglicher Versuch

Zum zweiten Mal kassiert das Bundesgericht ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau in derselben Angelegenheit (BGE 6B_183/2014 vom 28.10.2014, Publikation in der AS vorgesehen; vgl. auch meinen früheren Beitrag).

Offenbar hat das Obergericht erneut so ziemlich alles falsch gemacht, was man bei der Beurteilung eines Betrugsvorwurfs falsch machen kann; keine Täuschung, keine Arglist, kein Irrtum, keine kausale Vermögensverfügung und kein Schaden:

Über das Ausmass seiner Arbeitsunfähigkeit konnte [der Beschwerdeführer] bei dieser Ausgangslage überhaupt nicht täuschen, schon gar nicht arglistig. Die Beurteilung seiner sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsunfähigfähigkeit ergab sich – vollkommen unabhängig von seinem Verhalten – aus objektiven Kriterien. Die SUVA irrte denn auch nicht. Sie machte sich keine unzutreffenden Vorstellungen über die Wirklichkeit. Das Verhalten des Beschwerdeführers, die SUVA nicht lückenlos über den wahren Umfang seiner Arbeitstätigkeit bei der B. AG aufzuklären, war mithin nicht ansatzweise kausal für ihre Vermögensdisposition. Der Beschwerdeführer erwirkte weder einen rechtswidrigen Vermögensvorteil noch erlitt die SUVA einen Vermögensschaden. Diese machte denn auch nicht geltend, die Versicherungsleistungen seien als Folge einer Täuschung zu Unrecht erfolgt. Sie stellte die Taggeldzahlungen per 18. Dezember 2007 vielmehr wegen mangelnder Adäquanz ein und kam selbst nach Einstellung der Taggelder bis im Jahr 2009 noch für Heilungskosten auf (vgl. Urteil 6B_646/2012 vom 12. April 2013 E. 2.5.1) [E. 3.7].

Zur Publikation vorgesehen ist der Entscheid aber wegen den Erwägungen zum untauglichen Versuch. Dieser ist zwar grundsätzlich strafbar, aber eben nur grundsätzlich:

Nicht jedes Verhalten, das die Elemente des untauglichen Versuchs an sich erfüllt und damit nach Art. 22 Abs. 1 StGB grundsätzlich strafbar ist, stellt sich indessen auch als strafwürdiges und strafbedürftiges Unrecht dar. Die strafrechtliche Erfassung und Pönalisierung solchen Verhaltens macht keinen Sinn. Sie lässt sich auch nur schwer mit den Grundlagen des geltenden Tatstrafrechts vereinbaren. Es besteht deshalb das Bedürfnis nach einer tatbestandlichen Strafbarkeitseinschränkung des untauglichen Versuchs. Strafbar sollen untaugliche Verhaltensweisen daher grundsätzlich nur sein, wenn und soweit sie sich als ernstlicher Angriff auf die rechtlich geschützte Ordnung darstellen. Erforderlich ist damit – neben dem Deliktsverwirklichungswillen – eine minimale objektive Gefährlichkeit des Täterverhaltens (vgl. zum Ganzen STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2011, § 12 N. 17, N. 35 sowie N. 40 ff.; siehe zu den Theorien betreffend die [Einschränkung der] Versuchsstrafbarkeit für das deutsche Recht: CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II, München 2003, Rz. 9 ff. und Rz. 51 ff.; HANS JOACHIM HIRSCH, Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, in: Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 711 ff., S. 724 ff.). Mangelt es einem Täterverhalten bei Kenntnis aller nachträglich bekannten Umstände im Zeitpunkt der Tat objektiv an einem ernsthaften Stör- und Gefährdungspotenzial und somit an einer objektiv minimalen Gefährlichkeit (Risiko), lässt sich weder ein Strafbedürfnis bejahen noch eine Strafsanktion rechtfertigen. In einem solchen Fall muss der Täter, auch wenn er nicht aus grobem Unverstand gehandelt hat, in analoger Anwendung von Art. 22 Abs. 2 StGB straflos bleiben. Dies mit der Begründung, dass ein objektiv ungefährlicher untauglicher Versuch – ebenso wie ein grob unverständiger Versuch – die Rechtsordnung nicht zu gefährden vermag (vgl. Botschaft, a.a.O., Ziff. 212.51, S. 2011 zum groben Unverstand) [E. 3.6].