Strafprozessualer Durchgriff auch bei Holdingstrukturen
Die Beschlagnahme von Vermögenswerten einer juristischen Person gilt zumindest im Ergebnis nicht unbedingt als Zwangsmassnahme gegenüber einer Dritten (vgl. Art. 197 Abs. 2 StPO). Dieses Ergebnis wird mit dem strafprozessualen Durchgriff erreicht, welcher die Fiktion der (wirtschaftlichen) Identität herstellt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde einer betroffenen Aktiengesellschaft (Geldwäschereiverdacht gegen Aktionäre) mir folgender Argumentation ab (BGer 1B_208/2015 vom 02.11.2015):
Bei von Beschlagnahmen betroffenen Gesellschaften genügt für einen strafprozessualen “Durchgriff” die wirtschaftlich-faktische Identität zwischen ihnen und den sie beherrschenden beschuldigten Personen (vgl. BGE 140 IV 57 E. 4.1.2 S. 64; Urteile 1B_300/2013 vom 14. April 2014 E. 5.3.2 und E. 6; 1B_160/2007 vom 1. November 2007 E. 2.4; 1B_54/2007 vom 17. Juli 2007 E. 4). Dies muss grundsätzlich auch bei Holding-Konstruktionen gelten. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass es sich bei den Beschuldigten faktisch um die einzigen Aktionäre und damit wirtschaftlich um die Alleineigentümer der Beschwerdeführerin handelt. Nach den genannten Unterlagen wurde einer der Beschuldigten (per 12. April 2010) offenbar sogar der einzige Eigentümer. Der in der Beschwerdeschrift herangezogene Vergleich mit Aktionären von grossen Publikumsgesellschaften erweist sich als verfehlt. Alleinaktionäre einer nicht börsenkotierten Kleingesellschaft haben ganz offensichtlich erheblich mehr formalen und informellen Einfluss (insbesondere auf die Ernennung der Organe, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft und den Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen) als einzelne Aktionäre einer grossen Publikumsgesellschaft. Weisungen einzelner Aktionäre über die Geschäftsführung hätten Verwaltungsräte von Publikumsgesellschaften erst recht nicht zu befolgen. Ebenso wenig verfügen Aktionäre von Publikumsgesellschaften in der Regel über eine Unterschriftsberechtigung für Konten der Gesellschaft (E. 5.4).
Schädigt der Alleinaktionär seine AG, schädigt er dagegen eine Dritte. Der Inhalt von Identitätstheorien richtet sich jeweils ganz nach dem gewünschten Ergebnis. Wenn das Ergebnis im vorliegenden Fall richtig sein soll, dann könnte man es auch ohne Durchgriffslösung und ohne die Schaffung inkohärenter Theorien erzielen. Noch lieber wäre mir aber eine konkrete gesetzliche Grundlage.
“Schädigt der Alleinaktionär seine AG, schädigt er dagegen eine Dritte.” Ist das eine Anspielung auf die Rechtsprechung zu Art. 158 StGB (BGE 141 IV 104 bzw. 117 IV 259)? Das gilt doch nur, wenn er in das gesellschaftsrechtlich geschützte Mindestkapital eingreift (AkKp + Rs)…
Ein gesetzliche Grundlage wäre aber in der Tat wünschenswert. Dies gilt übrigens auch für andere strafrechtliche Konstruktionen, wie z.B. die Mittäterschaft, welche anders als Gehilfenschaft und Anstiftung im Schweizerischen StGB nicht erwähnt wird.
@Alex: Eigentlich wird im StGB nicht mal die Täterschaft erwähnt… Da könnte man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, das tatbestandliche “wer” könne auch mehr als nur eine Person sein.
@STM: Man könnte einfach auch Art. 1 StGB ernst nehmen und es so machen, wie in Deutschland. Dort steht:
§ 25 – Täterschaft
(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.
(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).
So schwierig scheint mir das nicht zu sein… Das müsste doch selbst unsere Legislative schaffen, oder? 🙂