Strafprozessualer Gerichtsstandsstreit vor Bundesgericht
In einem vor Bezirksgericht Zürich hängigen Strafverfahren rügte der Beschuldigte die örtliche Unzuständigkeit und beantragte erfolglos die Rückweisung des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft. Begründet hat er den Antrag mit der Tatsache, dass der Gerichtsstand nur durch ein früheres Verfahren bestimmt worden war, das aber seit Jahren sistiert ist. Ohne das sistierte Verfahren wäre die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Zürich nicht begründbar gewesen, was unbestritten ist. Zu klären war somit die Frage, ob ein sistiertes Verfahren den Gerichtsstand präjudiziert. Obergericht ZH und Bundesgericht bejahen diese Frage und weisen die jeweiligen Beschwerden ab (BGer 1B_499/2020 vom 04.12.2020, Fünferbesetzung).
Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung im zweiten Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer war das gegen ihn seit 2012 geführte Strafverfahren nicht abgeschlossen, sondern lediglich sistiert. Die Gleichzeitigkeit der beiden Verfahren ist daher, wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, zu bejahen. Daraus folgt, dass Art. 34 Abs. 1 StPO anwendbar ist und für die Beurteilung das Gericht jenes Ortes zuständig ist, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist, wobei alle Taten aus beiden Strafverfahren berücksichtigt werden. Gemäss den überzeugenden, soweit vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Ausführungen der Vorinstanz ist dabei vorliegend auf die mutmassliche Tat des gewerbsmässigen Wuchers abzustellen. Da diese Tathandlung in Zürich verübt worden ist, erweist sich das Bezirksgericht auch für die Beurteilung der nun angeklagten Sachverhalte als örtlich zuständig. Der Einwand des Beschwerdeführers, wonach die vorliegend agierende kantonale Staatsanwaltschaft III für qualifizierte Wirtschaftsdelikte eine bezirksübergreifende Staatsanwaltschaft sei und somit die Zuständigkeit des Bezirksgerichts erst bei Anklageerhebung feststehe, überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass das Bundesgericht diesen Punkt im vom Beschwerdeführer zitierten Bundesgerichtsentscheid nicht abschliessend behandelt hat (vgl. Urteil 1B_457/2017 vom 22. November 2017 E. 3.3), ist dieser Umstand vorliegend nicht relevant, weil Art. 34 Abs. 1 StPO ja gerade dazu dient, die örtliche Zuständigkeit des Gerichts zu bestimmen. Ausserdem ist dieses Argument auch deshalb nicht einschlägig, weil bei der bundesrechtlich geregelten Bestimmung des Gerichtsstands nicht auf kantonale Organisationsbesonderheiten Rücksicht zu nehmen ist (…). Es entbehrt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht jeder Logik, dass bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für das vorliegende Verfahren auf das sistierte Verfahren abgestellt wurde, mit welchem das vorliegende Verfahren auch nie mehr vereinigt werden könne. Zum einen hat die Vorinstanz zu Recht bemerkt, dass die nun angeklagten Sachverhalte wohl einzig aufgrund des sistierten Verfahrens überhaupt im Kanton Zürich untersucht worden sind. Zum anderen ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die getrennte Behandlung der beiden Verfahren nie beanstandet wurde und wohl im Sinne von Art. 30 StPO geboten war (E. 2.5).
Ich dachte ja immer, nach der Anklage könne die örtliche Zuständigkeit nicht mehr gerügt werden, aber da lag ich wohl falsch. Nicht klar ist mir zudem, wieso der Beschwerdeweg über das Obergericht ZH führte. Beide Fragen muss ich bei Gelegenheit noch näher anschauen.
Wenn man aber auf die Beschwerden eintritt, dann müsste man sie m.E. gutheissen. Der Sinn des Gerichtsstands der ersten Verfolgungshandlung (Art. 34 Abs. 1 StPO) kann doch nur darin liegen, den Anspruch auf Verfahrenseinheit zu sichern. Wenn das Bundesgericht am Schluss aber ausführt, die Trennung der Verfahren sei im vorliegenden Fall geboten, erscheint ein Abstellen auf Art. 34 StPO nicht nachvollziehbar.
Dass es zu solch merkwürdigen Zuständigkeiten kommt, liegt wohl daran, dass das ältere Verfahren bloss sistiert worden ist, obschon es vermutlich hätte eingestellt werden müssen (Der Beschuldigte ist ja offenbar da und dann kann man Strafverfahren nicht unbefristet sistieren, nur weil z.B. ein Zeuge nicht befragt werden kann).
Ich bin auch der Ansicht, dass die Rüge beim BGZ (Nichteintreten infolge Unzuständigkeit und Rückweisung an die STA) offensichtlich verspätet war, womit m.E. darauf gar nicht einzutreten gewesen wäre (Art. 42 Abs. 3 StPO).
Nach Art. 41 StPO wäre doch die Zuständigkeit unverzüglich (!) direkt bei der STA anzufechten gewesen, worüber dann die Oberstaatsanwaltschaft hätte entscheiden müssen.
Diese Bestimmung wäre komplett sinnlos, wenn man sich anschliessend zusätzlich noch im Hauptverfahren auf die Unzuständigkeit (nachträglich) berufen könnte.
Leider ist der Entscheid des OG Zürich noch nicht veröffentlicht und das Bundesgericht hat sich dazu nicht einmal geäussert?
Einverstanden, dass BGZ nicht hätte eintreten dürfen.
Es gibt aber Fälle, bei denen erst mit Anklageerhebung klar ist, welches Gericht sich (nach Ansicht der Staatsanwaltschaft) den Fall beurteilen soll. Der vorliegende Fall ist so einer, die STA III ist für den ganzen Kanton zuständig und kann vor jedem BG Anklage erheben.
In solchen Fällen muss die Rüge der Unzuständigkeit noch möglich sein. Die Rüge muss dann logischerweise vom Gericht beurteilt werden, da die Staatsanwaltschaft keine Verfahrensleitung mehr hat. Der Beschuldigte sollte dann aber nur noch die Überweisung an ein anderes Gericht des gleichen Kantons verlangen dürfen. Für die Rückweisung an die Staatsanwaltschaft besteht m.E. keine Grundlage und die Rüge dass die Strafverfolgungsbehörden eines anderen Kantons zuständig sind, ist verspätet.
Der normale Beschwerdeweg über das Obergericht scheint mir mangels anderweitiger Regelung richtig. Das Bundesstrafgericht ist nur für Gerichtsstandsstreitigkeiten zwischen Behörden zuständig.