Strafrecht c. Meinungsäusserung

Die Meinungsäusserungsfreiheit kollidiert immer wieder mit Straftatbeständen, die ihr Grenzen setzen. Wie eng diese Grenzen sind, kann als verlässlicher Massstab für den Stellenwert der Freiheit einer Gesellschaft herangezogen werden. Nach diesem Massstab schneiden viele kontinentaleuropäische Länder nicht besonders gut ab. Das gilt erst recht für die Schweiz, welche die Justiz dazu zwingt, auch verfassungswidrige Gesetze anzuwenden. Hierzulande dürfen (und müssten!) die Gesetze aber immerhin verfassungsgemäss ausgelegt werden. Damit tut sich die paternalistisch geprägte Schweiz schwer (vgl. dazu etliche frühere Beiträge).

Nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (zuletzt BVerfG 1 BvR 1036/14) setzt die Verfassung demgegenüber bereits der Gesetzesanwendung Schranken. Das ist einem Urteil zu entnehmen, welches die Verurteilung wegen Beleidigung als verfassungswidrig festgestellt hat (die Beschuldigte trug im öffentlichen Raum einen Anstecker mit der Aufschrift “FCK CPS”):

Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Gesetze, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, müssen dabei jedoch so interpretiert werden, dass der prinzipielle Gehalt dieses Rechts in jedem Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 124, 300 <324>; stRspr) [Rz. 14].

Im schweizerischen Recht würde man die Beschuldigte m.E. freisprechen müssen mit der Begründung, dass Behörden wie die Polizei keinen Ehrenschutz geniessen. Das Problem wäre hier jedenfalls nicht die Verfassung, sondern die Tatbestandsmässigkeit. Ein findiger Richter würde aber sicher eine überzeugende Begründung dafür finden, dass mit “FCK CPS” nicht die Polizei als Behörde, sondern eben nur die im Einsatz befindlichen einzelnen Cops persönlich gemeint sein können. Der Ansatz des BVerfG, der die Beschränkung der Gesetze durch die Grundrechte zulässt, ist mir deshalb wesentlich sympathischer.