Strafrecht ohne Recht?
Die Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. Peter Albrecht vom 30. Mai 2013 ist leicht überarbeitet in ZStrR 131 (2013) Band 4, 385 ff. erschienen. Ihre Ausgangsthese:
Die Durchführung von Strafverfahren wird durch ein zunehmendes Desinteresse am Recht geprägt. Im Fokus steht heute primär die Verwirklichung (kriminal)politischer Ziele, während die Rechtsidee in den Hintergrund verschwindet.
“Desinteresse am Recht” trifft den Nagel auf den Kopf. Wem die These zu zugespitzt ist, der lese den Beitrag und denke kurz darüber nach.
“Desinteresse am Recht” ist noch gnädig ausgedrückt. Es ist vielmehr eine Kapitulation des Rechts vor dem kriminalpolitischen Zeitgeist.
Interessanter Beitrag eines anscheinend in kulturmarxistischem Milieu sozialisierten Professors. Besten Dank an den Author for sharing and den Hinweis.
Was ist denn die “Rechtsidee”? Gerechtigkeit ist nur ein Element davon, Rechtssicherheit ein anderes (Germann; Probleme und Methoden der Rechtsfindung). Und “Recht” kommt von “richten”: Es wird, zumindest im Strafrecht, etwas (wieder) zu-Recht gerückt, in eine Richtung gebracht. Ob diese Richtung nach Massgabe der über dem Gesetz und der Rechtsanwendung schwebenden, hehren Rechtsidee “richtig” oder “falsch” ist, wird vom positiven Recht nicht immer beantwortet.
In welche Richtung etwas/jemand gerichtet wird, hat bekanntlich in den grossen Zügen der Gesetzgeber festzulegen, im Einzelfall der Richter zu entscheiden, und hier kommt es in nicht zu unterschätzendem Masse auch auf dessen Persönlichkeit an. Diesbezüglich ist bekanntlich regelmässig – um nicht zu sagen: immer – eine nicht nur örtliche und institutionelle, sondern auch eine gesinnungsmässige Nähe von Strafverfolgungsbehörden und Richtern festzustellen. Das hat einerseits mit der durch die Beamtetheit beider Berufsgruppen bedingten, bei denselben vorhandenen Ähnlichkeit der durchschnittlichen Ausprägung wesentlicher Persönlichkeitseigenschaften, andererseits damit zu tun, dass die Richterschaft sich heutzutage auch kaum mehr aus einer Geisteselite rekrutiert, sondern sich, wie die überwiegende Mehrheit der zeitgenössischen gesellschaftlichen Machtträger oder derjenigen, die als solche wahrgenommen werden insgesamt, welcher Begriff im weitesten Sinne auch die Advokatur einschliesst, als eine Ansammlung von Funktionselitisten reinsten Wassers präsentiert, welche sich als blosse, mehr oder weniger unkritische Exekutoren der “gesellschaftlich” (von wem? wer weiss es?) explizit oder implizit und subkutan vorgegebenen Werte verstehen, auch weil sie bei den massgeblichen gesellschaftlichen Machtträgern beliebt sein (gilt aufgrund ihrer von der Natur vorgegebenen grösseren konstitutionellen Empfindlichkeit vor allem, aber selbstverständlich nicht ausschliesslich für typische Frauen) und im herrschenden System Karriere machen wollen. Richter sind zumeist auch Tatmenschen, die es von innen und aussen zur Entscheidung drängt, keine Denker (zuviel Denken erschwert nicht nur Hamlet die Entscheidfindung). Jedenfalls scheinen sich sowohl Strafverfolgungsbehörden wie auch Richter sehr sicher zu sein, dass das von ihnen angewendete bzw. gesprochene Recht niemals sie selber betreffen und treffen kann.
Andererseits: Wird von vielen Seiten zunehmend Druck ausgeübt, ist es auch für starke Persönlichkeiten fast unmöglich, sämtlichen der wirkenden Kräfte standzuhalten.
Wiederum kann man es dem Richter als bisweilen dergestalt starker, eigenständiger Persönlichkeit kaum ernstlich verübeln, wenn er selber von der Politik abweichende Wertungen vornehmen will, wenn er feststellt, dass etwas gründlich faul ist im Staate Dänemark. Und so ist es denn auch: Das ist schon lange kein Bund “freier und gleicher Eidgenossen” mehr.
Danke für den geschätzten Hinweis. Den Text kann man wirklich nur noch mit einem Ausrufezeichen schmücken.