Strafverfahren ausserhalb der StPO

Die JVA Pöschwies hat einen Insassen der unbewilligten Nutzung des Internets verdächtigt. Anstatt ihn anzuzeigen, hat sie die von ihm benützte EDV-Ausrüstung “eingezogen”, die Datenträger untersuchen und darüber ein Gutachten erstellen lassen. Weil die Gutachter kinderpornografische Mangas – sowas soll ja strafbar sein – fanden, erstattete die JVA dann doch Strafanzeige unter Beilage des Gutachtens. Die ersten beiden Instanzen verurteilten den Insassen, das Obergericht des Kantons Zürich allerdings “nur” wegen Besitzes.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Insassen mit einer etwas unüblich aufgebauten Begründung ab (BGer 6B_557/2017 vom 09.01.2018). Dass die JVA das Gutachten selbst und vor Einschaltung der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben und so die Regeln der Strafprozessordnung umgangen hatte, hält das Bundesgericht offenbar für vollkommen irrelevant:

Es darf indes nicht aus den Augen gelassen werden, dass nach Entdeckung des unbewilligten Zugriffs aufs Internet mit Hilfe der sichergestellten Informatik- und Kommunikationsmittel nicht strafrechtliche Aspekte im Vordergrund standen. Wie sich aus dem Auftrag der JVA vom 15. Oktober 2012 zur Anfertigung des Gutachtens ergibt, ging es den verantwortlichen Justizvollzugsorganen in erster Linie darum, das effektive Gefährdungspotential für die Strafanstalt abzuschätzen und künftige ähnliche Missbräuche zu verhindern. In ohne weiteres nachvollziehbarer Weise wird im Auftrag an die technischen Experten betont, eine unkontrollierte Verbindung von Insassen zur Aussenwelt berge stets “das Potential, die Sicherheit der JVA Pöschwies zu gefährden”. Am primär ordnungs- und sicherheitstechnisch ausgerichteten Gutachtensauftrag ändert nichts, dass die Vollzugsbehörden daneben ausdrücklich auch an Erkenntnissen über allfällige strafbare Handlungen interessiert waren, die sie zur Anzeige zu bringen hätten (vgl. § 97 Abs. 2 der kantonalzürcherischen Justizvollzugsverordnung [JVV; LS 331.1]). Der Vorinstanz ist jedenfalls beizupflichten, wenn sie im Umstand, dass die Anordnung der FCS-Expertise durch die Strafanstalt und nicht durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, kein Hindernis für die Beweisverwertung erblickt.

Soweit der Beschwerdeführer im gleichen Zusammenhang eine Verletzung seines Rechts auf Siegelung (Art. 248 StPO) rügt, kann darauf mangels rechtsgenüglicher Begründung nicht eingetreten werden. Der blosse Hinweis auf die allseits unbestrittene Tatsache, wonach sich auf der untersuchten Speicherkarte auch persönliche Dokumente des Beschwerdeführers befinden (u.a. seine Anwaltskorrespondenz), erfüllt die gesetzlichen Begründungsanforderungen (Art. 42 Abs. 2 BGG) nicht (E. 1.1).
Da hätte ich jetzt aber schon noch ein materielles Argument erwartet. Mit ungenügender Begründung kann alles abgeschmettert werden. Damit umschifft das Bundesgericht gleich auch die Frage, mit welchem Recht die Datenträger durchsucht werden durften (es ist
allerdings nicht ersichtlich, ob auch diese Frage gerügt wurde).
Die Umgehung von Art. 182 ff. StPO löst das Bundesgericht wie folgt:
Das Gutachten der Forensic Computing Services wurde der Staatsanwaltschaft seitens der JVA zusammen mit der Strafanzeige vom 13. Januar 2014 eingereicht. Wie bereits dargelegt, erfolgte der Gutachtensauftrag in erster Linie zur Gewährleistung der inneren Sicherheit der Strafanstalt. Aus Sicht der Strafbehörden bildet die Expertise vom 19. Dezember 2013 ein in verwaltungs- bzw. disziplinarrechtlichem Zusammenhang ergangenes Fremdgutachten. Sein Beizug als solcher durfte deshalb ohne Beachtung der in den Art. 184 Abs. 3 und Art. 188 f. StPO festgelegten Mitwirkungs- und Parteirechte geschehen. Allerdings ist den Parteien hinsichtlich beigezogener Sachverständigengutachten das rechtliche Gehör zu gewähren. Dazu gehört nebst einer Stellungnahme zum Inhalt des Fremdgutachtens auch die Möglichkeit, sich nachträglich noch zur Person des Gutachters zu äussern und Ergänzungsfragen zu stellen (vgl. BGE 140 III 24 E. 3.3.1.3 S. 27; 125 V 332 E. 4b S. 337; Marianne Heer, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 25 zu Art. 184 StPO mit Verweis auf Lucrezia Glanzmann-Tarnutzer, Der Beweiswert medizinischer Erhebungen im Zivil-, Straf- und Sozialversicherungsprozess, AJP 2005 S. 73 ff., 76). Nach vorinstanzlicher Feststellung konnte der amtliche Verteidiger bereits am 6. Februar 2015 sämtliche Untersuchungsakten und damit auch das Gutachten einsehen. Ab diesem Zeitpunkt stand dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen, sich zum FCS-Gutachten umfassend zu äussern und Ergänzungen zu beantragen. Im Gegensatz zu anderweitigen Beweismitteln hat er jedoch hinsichtlich der streitigen Expertise im Verlaufe des gesamten Untersuchungsverfahrens auf Beweisanträge verzichtet. Nach zutreffender vorinstanzlicher Beurteilung ist folglich nicht ersichtlich, inwiefern Art. 29 Abs. 2 BV verletzt sein soll. Von einem Beweisverwertungsverbot kann nach dem Gesagten keine Rede sein (E. 1.2).
Die Moral: Die Staatsanwaltschaft unbedingt erst einschalten, nachdem die Beweise gesichert sind, denn sonst müssen die lästigen Regeln der StPO beachtet werden, die ja nicht einmal der Verurteilung der Beschuldigten, sondern der Wahrheitsfindung und der Fairness dienen.