Strafverteidiger v. Staatsanwalt

In einem Strafverfahren im Kanton Bern hat ein Staatsanwalt den Strafverteidiger bei der Aufsichtsbehörde wegen angeblicher Verletzung der Berufspflichten verzeigt. Letzterer hat sodann den Ausstand des Staatsanwalts verlangt, blieb damit aber erfolglos, zuletzt auch vor Bundesgericht (BGer 1B_118/2021 vom 13.07.2021).

Für die strittige Frage der Ausstandspflicht war für die Vorinstanz und das Bundesgericht entscheidend, ob die Verzeigung bei “summarischer Beurteilung” sachlich vertretbar erschien:

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren fällt es nicht in die Zuständigkeit des Bundesgerichtes, die Begründetheit der vom Untersuchungsleiter eingereichten Disziplinaranzeige materiell zu prüfen. Im Rahmen des Ausstandsverfahrens genügt eine summarische Beurteilung, ob die Anzeige vertretbar erschien, oder ob sie sich als dermassen abwegig erweist, dass sie – strafprozessual und ausstandsrechtlich – als schwere Amtspflichtsverletzung des Staatsanwaltes einzustufen wäre (E. 4.1).  

Eine die Anzeigepflicht nach Art. 15 Abs. 1 BGFA auslösende Berufspflichtverletzung zu behaupten ist ebenso einfach wie sie zu plausibilisieren, zumal die meisten Berufspflichten gesetzlich nur mit einer Generalklausel (Art. 12 lit. a BGFA) umschrieben sind. Der Beschuldigte wird daher immer unterliegen, wenn das Gericht, das die Ausstandspflicht des Staatsanwalts zu beurteilen hat, nicht völlig von der Rolle ist. Im vorliegenden Fall scheiterte das Ausstandsgesich aber wohl primär am Anwalt selbst, der an den entscheidenden Fragen vorbei argumentierte.

Wieso gibt es eigentlich keine gesetzliche Pflicht für Strafverteidiger, Amtspflichtverletzungen bei der Aufsichtsbehörde anzuzeigen? Vielleicht weil die Amtspflichten nicht hinreichend definiert oder bekannt sind?

In Fällen wie diesen wäre es wohl die beste Lösung, wenn Verteidiger und Staatsanwalt die Dossiers weiterreichen, egal wie das Aufsichtsverfahren enden wird.