Suchtbehandlung nur bei Abhängigkeit
In der Praxis kriegt man oft den Eindruck, dass forensische Psychiater zu leichtfertig schwere psychische Störungen i.S.v. Art. 56 ff. StGB diagnostizieren. Ich warte in meiner eigenen Praxis bis heute auf das erste Gutachten, das überhaupt keine Störung diagnostiziert. Juristen schieben deshalb die Verantwortung für Massnahmen gern auf die Psychiater. Dass dies mitunter zu Unrecht erfolgt, demonstriert ein neues Urteil des Bundesgerichts (BGer 6B_760/2015 vom 08.10.2015).
In diesem Entscheid kassiert das Bundesgericht die Anordnung einer Suchtbehandlung, obwohl der Gutachter gar keine Abhängigkeit i.S.v. Art. 60 Abs. 1 StGB nicht diagnostiziert hat:
[Die Vorinstanz ] begründet nicht, weshalb sie Abhängigkeit im Sinne von Art. 60 StGB bejaht, obschon der Experte eine Abhängigkeit im psychiatrischen Sinne aufgrund der ihm verfügbaren Daten als nicht bewiesen erachtet. Fest stehen aufgrund des Gutachtens zurzeit einzig ein schändlicher Gebrauch von Alkohol (ICD-10: F10.1) und eine Alkoholtoleranz. Daraus allein ergibt sich aber noch keine Alkoholabhängigkeit gemäss Art. 60 StGB. Eine Alkoholabhängigkeit ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn der Betroffene regelmässig zu viel Alkohol konsumiert und diese Neigung zum übermässigen Alkoholgenuss durch den eigenen Willen nicht zu überwinden vermag (…) [E. 1.6].
Hauptsache versorgt.
Psychiatrische Begutachtungen bestätigen meistens, was der Auftraggeber gerne hört. Dieses Instrument wird auch verwendet, wenn ein Subjekt bestimmte Finanzumschichtungen, und damit „sozial“ stört. Mit Komplimenten wie „paranoid-querulatorische und dissoziale Persönlichkeitsstörung“ hat der Staatsanwalt sein Ziel schon erreicht. Mit solchen Schalmeien verkommt der Proband rein rechtlich zum „Geistesschwachen“, was der KESB ein Einfallstor für einen weiteren Klienten beschert. Vgl. dazu u.a. http://www.bger.ch/index/juridiction/jurisdiction-inherit-template/jurisdiction-recht/jurisdiction-recht-urteile2000.htm
Alles, was das Subjekt fortan äussert, ist für die Behörden irrelevant. Im Streitfall leitet sich aus der Position der Gegenseite sogar der Sachverhalt ab.
Solche „Störungen“ werden auch fern-diagnostisch oder allein aufgrund von einseitig geführten Akten erfunden. Die Krux mit den gekauften Gutachten ist systembedingt: Wer keine eindeutigen „Störungen“ andichtet, verliert den Folgeauftrag.
“schändlicher” Gebrauch von Alkohol – war das ein Tippfehler oder eine freudsche Wertung durch das Bundesgericht?
Der Angeklagte mag vieles gemacht haben, aber um Himmels Willen hat er niemanden geschändet!
…gar keine Abhängigkeit nicht diagnostizieren heisst doch bei einer solchen doppelten Verneinung, dass also eine Abhängigkeit festgestellt wurde… 😉