SVG: Keine Geschädigtenstellung nach blossem Sachschaden
Im Rahmen einer Beratung nach Art. 23 BGG haben die I. öffentlich-rechtliche Abteilung und die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts folgende für die Praxis wichtige Rechtsfrage beraten:
“Ist eine Person, die im Rahmen eines Verkehrsunfalls ausschliesslich einen materiellen Schaden erlitten hat, gestützt auf Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG berechtigt, Beschwerde in Strafsachen zu führen gegen ein letztinstanzliches Strafurteil, das sich auf Art. 90 Ziff. 1 SVG stützt?”
Dahinter verbirgt sich die entscheidende Frage, ob eine solche Person Geschädigtenstellung zu beanspruchen hat, was das Bundesgericht m.E. zu Recht verneint (BGE 1B_432/2011 vom 20.09.2012), Publikation in der AS vorgesehen):
Eine Ausdehnung der Geschädigtenstellung auf Personen, die lediglich einen Sachschaden erlitten haben, erscheint nicht angezeigt, da der Gesetzgeber mit der geltenden Regelung an die Begriffsverwendung nach der bisherigen Praxis anknüpfte (…) und keine Hinweise bestehen, dass er eine Änderung am Verständnis der unmittelbaren Rechtsverletzung bei SVG-Widerhandlungen beabsichtigt hätte. Hinzu kommt, dass die fahrlässige Sachbeschädigung nach Art. 144 StGB nicht strafbar ist (…). Die für eine Abweichung von diesem Grundsatz im Bereich der Strassenverkehrsdelikte nach Art. 1 StGB notwendige ausdrückliche gesetzliche Grundlage liegt nicht vor. Schliesslich besteht für Schäden, die von Motorfahrzeughaltern verursacht werden, eine umfassende Versicherungspflicht (Art. 58 ff. SVG). Diese dient dazu, auch die Sachschäden infolge einer Verkehrsregelverletzung auszugleichen. Es ist davon auszugehen, dass eine zusätzliche Beteiligung des Geschädigten im Sinne von Art. 58 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 SVG am Strafverfahren wegen der Verkehrsregelverletzung in der Regel nicht notwendig ist, um dessen Zivilansprüche zu erfüllen (E. 4.1).
Dogmatisch liegt die Begründung in der Antwort auf die Frage nach dem geschützten Rechtsgut von Art. 90 Ziff. 1 SVG. Die umstrittene Lehre zu dieser Frage stellt das Bundesgericht umfassend in E. 3 dar. Es bleibt aber bei seiner Rechtsprechung, wonach
die Verkehrsregeln nebst dem allgemeinen Interesse der Verkehrssicherheit höchstens die körperliche Integrität der Verkehrsteilnehmer schützen, nicht aber deren Eigentum bzw. Vermögen, so stellt ein reiner Sachschaden als Folge einer Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Ziff. 1 SVG keine unmittelbare Verletzung in eigenen Rechten im Sinne von Art. 115 StPO dar, sondern nur eine mittelbare Folge des Verstosses gegen die Verkehrsregeln. Der Kollisionsbeteiligte, der bloss Sachschaden eritten hat, ist daher nach dieser Vorschrift nicht durch die Verkehrsregelverletzung geschädigte Person (E. 3.2).