Teileinstellung und “ne bis in idem”
Erneut weist das Bundesgericht darauf hin, dass wegen ein und derselben Tat im prozessualen Sinn nicht aus einem rechtlichen Gesichtspunkt verurteilt und aus einem anderen das Verfahren eingestellt werden kann (BGE 6B_1346/2017 vom 20.09.2018, Publikation in der AS vorgesehen).
Das Bundesgericht korrigiert damit eine Feststellung im Urteil 6B_1056/2015 vom 4. Dezember 2015 E. 1.4, wonach die Einstellungsverfügung dem Strafbefehl nicht entgegenstehen könne:
Es wird vorliegend nicht in Frage gestellt, dass der unterzeichnende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft 3 des Kantons Luzern sachlich, örtlich und funktionell für den Erlass der Teileinstellungsverfügung zuständig war. Auch wurde der Strafbefehl beziehungsweise die darin enthaltene Teileinstellung vom stellvertretenden Oberstaatsanwalt visiert. Dabei wurde “lediglich” nicht berücksichtigt, dass kein Raum für eine Teileinstellung des Verfahrens besteht, da es sich nur um eine andere rechtliche Würdigung ein und desselben Lebensvorgangs handelt. Die Staatsanwaltschaft hat das Recht falsch angewandt. Obwohl die Einstellung in den Strafbefehl integriert war, kann nicht von einem offensichtlichen oder leicht erkennbaren Mangel gesprochen werden. Kommt hinzu, dass im Bereich des Strafrechts die Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung ist. Nach der Rechtsprechung kann es deshalb nicht angehen, allenfalls noch nach Jahren ein unangefochten gebliebenes und in formelle Rechtskraft erwachsenes Strafurteil nichtig zu erklären (Urteile 6B_968/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 1.4; 6B_744/2008 vom 23. Januar 2009 E. 1.3). Gleiches hat für freisprechende Urteile und Einstellungen zu gelten, die gemäss Art. 320 Abs. 4 StPO einem freisprechenden Endentscheid gleichkommen (vgl. JÜRG-BEAT ACKERMANN, a.a.O., S. 48). Nimmt man Nichtigkeit einer in Rechtskraft erwachsenen Einstellungsverfügung an und lässt eine (erneute) strafrechtliche Beurteilung desselben Lebenssachverhalts zu, wird dadurch die Beständigkeit eines rechtskräftigen verfahrenserledigenden Entscheids unterlaufen und damit die Rechtssicherheit gefährdet (vgl. Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich SU150121 vom 10. Mai 2016 E. 3.10.3) [E. 1.4.3].
Man muss sich wie in so vielen strafprozessualen Fragen immer bewusst sein, dass es immer der Sachverhalt ist, der vorgibt, worauf das Recht erst anzuwenden ist.
So einfach ist es ja leider nicht. Der beurteilte Fall liegt ja zugegebenermassen etwas schlecht um das Problem zu illustrieren, aber Art. 311 StPO besagt:
“Die Staatsanwaltschaft kann die Untersuchung auf weitere Personen oder weitere Straftaten ausdehnen.”
Nun ist – allenfalls – unklar, ob hier nur *sachlich* neue Straftaten gemeint sind oder auch in der *rechtlichen Würdigung* neue Straftaten. Die Praxis zumindest geht eher davon aus, das beides gemeint ist, zumal man ja so oder so auch eine rein rechtliche Ausdehnung des Verfahrensgegenstands dem Beschuldigten frühzeitig offenlegen muss.
Was dann am Ende des Verfahrens mit so einer Ausdehnung zu geschehen hat, wenn sie sich nicht erhärtet, ist dann ebenso unklar. Muss eine solche ‘rechtliche’ Ausdehnung eigenständig eingestellt werden oder wird sie durch die anderweitige Erledigung des Sachverhalts konsumiert?
Konsumiert eine Anklage wegen Urkundenfälschung den Betrug im Sinne einer impliziten Verfahrenseinstellung? Eine Vorteilsannahme die Bestechung? Die Nötigung eine Drohung? Und wie soll das den Parteien kommuniziert werden?
In einer Teileinstellungsverfügung festzuhalten, dass man bezüglich des Verfahrensgegenstands eine bestimmte, den Parteien als solche kommunizierte Verdachtshypothese werwirft, scheint mir angemessen und teilweise sogar zumindest unter Gehörsaspekten eigentlich zwingend.
Man käme daher m.E. nicht umhin, von Fall zu Fall die jeweilige Teileinstellungsverfügung dahingehend auszulegen, ob ein Lebenssachverhalt eingestellt wird oder eine Verdachtshypothese (ob also eine sachliche oder eine rechtliche Teileinstellung erfolgt). In der Regel wird es – zumindest bei einer Teileinstellung – letzteres sein.
Das Bundsgericht hat das Problem aber offensichtlich nichtmal erkannt und sagt nun im Wesentlichen, die Behörde habe ‘aus Versehen’ in Dispositiv Ziff. 6 das ganze Verfahren eingestellt und müsse sich nun für die Dispositivziffern 1 bis 5 darauf behaften lassen, was schon als Idee so absurd ist, dass es fast eine gewisse Komik hat. Aber nun denn.
In der Theorie ist der Entscheid ja durchaus nachvollziehbar. Wie steht’s aber mit der praktischen Umsetzung? Interessant wäre hier zu erfahren, wie die Staatsanwaltschaft damit umgeht: Wie wird das rechtliche Gehör der Parteien gewahrt? Wie erfahren betroffene Parteien davon, dass der sie betreffende Aspekt eingestellt wurde, “das Kind aber nicht beim Namen genannt” werden darf – insbesondere, wenn keine anwaltliche Vertretung vorhanden ist?