Teilnahmerecht der Verteidigung am Explorationsgespräch
Bekanntlich hat das Bundesgericht ein Teilnahmerecht der Verteidigung an Explorationsgesprächen mit Sachverständigen verneint (vgl. meinen früheren Beitrag).
Zu einem anderen Ergebnis kommt eine aktuelle Dissertation:
Urwyler, Thierry, Das Teilnahmerecht der Verteidigung am Explorationsgespräch des psychiatrischen Sachverständigen mit der beschuldigten Person im Lichte der EMRK, Zürich 2019.
Müsste der StA als Partei und nach geltender StPO (nicht nach EMRK!) demnach das Recht und die Möglichkeit der Teilnahme an der Exploration auch eingeräumt werden?
@A. Fabbri: Klar, allerdings nicht unter dem Titel Teilnahmerechte, sondern unter dem Titel Verfahrensleitung.
Auch der Verteidiger würde nicht teilnehmen, sondern wäre nur anwesend. Er ist nicht Subjekt. Umso mehr muss das im Explorationsgespräch geltend, wo auch der Beschuldigten bereits nur Objekt ist.
Spinnt man diesen Gedanken weiter, so würde das bedeuten, dass auch ein Teilnahmerecht bei einem körperlichen Untersuch besteht: Nach einer Vergewaltigung dürfte also der Anwalt beim ärztlichen Untersuch des Beschuldigten anwesend sein. Möchte dies der Beschuldigte oder der Anwalt nicht, müsste die StA insistieren, ansonsten die Gefahr besteht, dass man irgendwann den Vorwurf erhebt, der Beschuldigte sei nicht adäquat verteidigt gewesen. Anschliessend könnten Anwalt und Beschuldigter dem ärztlichen Untersuch des Opfers beiwohnen. Das war kaum die Idee des Gesetzgebers….
M.E. ist dieser Einwand nicht ganz richtig durchdacht: Ja, auch beim körperlichen Untersuch des Beschuldigten sollte der Verteidiger anwesend sein dürfen (gerade an diesem Beispiel der körperlichen Untersuchung offenbart sich, dass «teilnehmen» wohl nicht der richtige Begriff ist für jemanden, der nur als Subjektgehilfe anwesend ist). In der Regel dürfte jedoch darauf verzichtet werden, womit der Einwand der nicht gehörigen Verteidigung nicht mehr erhoben werden kann.
Aus dem Recht qua Verteidigungsanspruch des Beschuldigten beim körperlichen Untersuch des eigenen Mandanten anwesend zu sein, fliesst nicht automatisch das qua Verteidigerstellung fliessende Teilnahmerecht (des Beschuldigten) bei der körperlichen Untersuchung des mutmasslichen Opfers teilzunehmen.
Das Teilnahmerecht des Beschuldigten soll eingeschränkt werden dürfen, wo es sachlich notwendig ist – ohne Frage.
Ich kenne aber keine Situation Im Strafverfahren, in der die Anwesenheit des Verteidigers (prozessual gedacht) nicht notwendig wäre; insbesondere nicht bei einer forensisch-psychiatrischen Exploration, in welcher sich die Stellung als des Beschuldigten als Objekt am deutlichsten manifestiert.
In BGE 6B_583/2009 wurde eine Verteidigung als ungenügend erachtet (und die Verurteilung durch die Vorinstanz aufgehoben), weil ein Anwalt bei einer wichtigen Befragung auf eine Teilnahme verzichtet hatte. So hätte die Staatsanwaltschaft dies gemäss Bundesgericht erkennen und intervenieren müssen. Wäre die Vergewaltigung in meinem Beispiel also bestritten, so käme dem körperlichen Untersuch des Beschuldigten zweifelsohne wichtige und unter Umständen entscheidende Bedeutung zu. Würde also davon ausgegangen, dass bei der Exploration ein Teilnahmerecht bestünde, würde dies bedeuten, dass der Verteidiger bei einem Verzicht auf Teilnahme seinen Pflichten nicht nachkommen würde. Der Umstand, dass sein Mandant eine Teilnahme vielleicht nicht wünscht, entbindet den Anwalt m.E. nicht, seinen Pflichten nachzukommen. Dementsprechend müsste man also – Verzicht hin oder her – auf eine Teilnahme bei der ärztlichen Exploration des Beschuldigten bestehen. Im übrigen hätte auch ein allfälliger Mitbeschuldigter und dessen Anwalt ein Anspruch auf Teilnahme, ob dies der Beschuldigte wollte oder nicht. Was die Geschädigte betrifft, so sehe ich nicht, woraus Sie eine Beschränkung des Teilnahmerechts des Beschuldigten ableiten würden. Art. 147 StPO sieht eine Einschränkung der Teilnahmerechte zufolge “sachlicher Notwendigkeit” nicht vor.
@Simon Burger: Da mag ich Ihnen gar nicht widersprechen. Das ändert aber nichts daran, dass ich bei einer Beschwerde gegen die Verweigerung der Teilnahme vor Bundesgericht mit Sicherheit Schiffbruch erleiden würde.
was m.E. auch richtig ist, da ich der Meinung bin, dass kein Teilnahmerecht besteht (siehe oben)