Therapeutische “Überhaft”

Überhaft, die aus einer vorsorglich geschlossenen Unterbringung i.S.v. Art. 15 JStG resultiert, begründet keinen Entschädigunganspruch. Dies ergibt sich aus einem zur Publikation in der AS vorgesehen Urteil des Bundesgerichts (BGE 6B_273/2021 vom 25.08.2022):

Vorsorgliche Schutzmassnahmen gewährleisten den Schutz und die Erziehung des Jugendlichen während der Untersuchung und dienen insofern der Krisenintervention (vgl. E. 1.6.3). Zwar handelt es sich dabei nicht um eine (materiellrechtliche) Sanktion, sondern um eine (prozessuale) Zwangsmassnahme (RIEDO, a.a.O., S. 131 und S. 273; siehe auch Urteil 1B_437/2011 vom 14. September 2011 E. 4.3). Jedoch unterscheidet sich die vorsorgliche geschlossene Unterbringung i.S.v. Art. 5 i.V.m. Art. 15 JStG nach dem Ausgeführten angesichts ihrer Zielsetzung klar von der Untersuchungshaft i.S.v. Art. 110 Abs. 7 und Art. 51 StGB sowie Art. 431 Abs. 2 StPO (vgl. auch JOSITSCH/RIESEN-KUPPER, a.a.O., N. 5 zu Art. 27 JStPO). Dass eine (vorsorgliche) Unterbringung die Dauer eines allenfalls gleichzeitig ausgesprochenen Freiheitsentzugs übersteigt, wird – sofern sie verhältnismässig ist – durch ihren erzieherischen und/ oder therapeutischen Zweck gerechtfertigt. Um eine “doppelte Bestrafung” des Jugendlichen zu vermeiden, ist die mit der (vorsorglichen) Unterbringung verbundene Freiheitsbeschränkung zwar auf den ausgesprochenen Freiheitsentzug anzurechnen, wenn die Unterbringung aus einem anderen Grund als jenem der Zweckerreichung aufgehoben wird (vgl. Art. 32 Abs. 3 JStG; BGE 142 IV 359 E. 2; 137 IV 7 E. 1.6.2). Dies hat jedoch nach dem Ausgeführten nicht zur Folge, dass der Jugendliche zu entschädigen ist, wenn der mit der (vorsorglichen) Unterbringung verbundene Freiheitsentzug länger war als der ausgesprochene Freiheitsentzug, da damit ein eigener Zweck (erzieherische und/oder therapeutische Betreuung) verfolgt wurde. Dass die Schutzmassnahme letztlich gescheitert ist, ändert daran nichts (E. 1.6.5, Hervorhebungen durch mich).