Trotz Tatverdachts und Zwangsmassnahmen kein Strafverfahren?
Das Bundesstrafgericht publiziert sein (berichtigtes) Urteil gegen zwei offenbar sehr bewegte Damen aus dem Raum Zürich (BStGer SK.2011.1 vom 08.11.2011 bzw. 21.03.2012). Der Entscheid wirft einmal mehr ein schlechtes Licht auf die Arbeit der Strafverfolger, die offenbar jahrelang, teilweise ohne gesetzliche Grundlage und rechtswidrig ermittelten, ohne den Beschuldigten die Verteidigungsrechte zu ermöglichen. Die Verteidigung hat verschiedene Verwertungsfragen aufgeworfen, ist damit aber nicht durchgedrungen.
Interessant erscheint mir u.a. die Rüge, durch das während langer Zeit geheim geführte “Verfahren” (das offenbar keines oder ein anderes war) sie den Beschuldigten der Alibibeweis verunmöglicht worden. Das Argument wird wie folgt widerlegt:
Hingegen ist mit Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK nicht zu vereinbaren, dass der formellen Eröffnung des Strafverfahrens durch die Bundesanwaltschaft rund einjährige Ermittlungsarbeiten gegen die Beschuldigte B. vorausgingen. Diese Verzögerung hat die Beschuldigte nicht zu vertreten. Es stellt sich damit die Frage, ob ihr aus diesem Grunde ein Alibibeweis verunmöglicht war. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Alibi umso weniger nachzuweisen ist, je weiter der massgebliche Zeitpunkt zurückliegt, denn im Verlaufe der Zeit schwindet die Erinnerung an bestimmte Ereignisse und Umstände der Vergangenheit. Das gilt nicht nur dann, wenn der Beweis mit der Aussage von Dritten geleistet werden soll, sondern auch für den Beschuldigten hinsichtlich der Frage, welcher Dritte eine Tatabwesenheit bezeugen könnte oder für Sachbeweise, die mit der Zeit vergessen oder verloren gehen. Allerdings ist die rechtliche Folge, ein Alibi für wahr zu unterstellen nur angebracht, wenn für ein solches wenigstens ein Indiz vorliegt; die bloss theoretische Möglichkeit eines Alibis reicht nicht aus. Solche Anzeichen bestehen vorliegend nicht und sind von der Beschuldigten B. auch nicht geltend gemacht worden. Zudem hat die Verteidigung den Vorwurf der Verunmöglichung des Alibibeweises erstmals an der Hauptverhandlung erhoben. Es wäre nahe liegend gewesen, bereits bei der Befragung zur Sache durch den eidg. Untersuchungsrichter ein Alibi anzugeben respektive diesbezügliche Beweisanträge zu stellen. Bei dem Einwand der Verteidigung handelt es sich bloss um die hypothetische Möglichkeit eines Alibis, was als voller Entlastungsbeweis nicht genügt. Die Möglichkeit eines Alibis ist jedoch bei der Würdigung der übrigen Indizien mit in Betracht zu ziehen (E. 2.5.6.d).
Damit wird der Verteidigung vorgeworfen, sie habe unterlassen, was ihr zu tun eben gerade nicht möglich war. Mich überzeugt das nicht. Selbst wenn das Bundesstrafgericht anders entschieden hätte, ist mir im Übrigen nicht klar, was die Rechtsfolge gewesen wäre. Freispruch in dubio pro reo?
Die Verwertungskonsequenzen sind m.E. nach klar widerrechtlich und zudem stossend. Die Strafverfolgungsbehörden des Kt. ZH sind gut beraten, sich künftig umsichtiger und v.a. an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten. Leider kein Einzelfall.