Trotz unüberwindbarer Zweifel verurteilt
Ich weiss, ich wiederhole mich. Aber wer noch immer glaubt, in Strafverfahren gelte “in dubio pro reo”, der lese den heute publizierten Entscheid des Bundesgerichts (BGer 6B_760/2011 vom 20.03.2012), das trotz seiner beschränkten Kognition ein Urteil kassiert, das es mit der Unschuldsvermutung nicht besonders ernst genommen hat. Die Richter kamen zur gemäss Bundesgericht nicht haltbaren Überzeugung, der Beschwerdeführer habe sich unter Ausschluss vernünftiger Zweifel schuldig gemacht. Zum Glück gibt es immer noch Wahnsinnige, die solche Urteile trotz relativer Aussichtslosigkeit und hohen Kostenrisikos an das Bundesgericht weiterziehen. Aus den Erwägungen:
[Der Beschwerdeführer] widerlegt zutreffend die vorinstanzliche Annahme, der Haupttäter habe sich durch die Aussage, er habe das Messer aus dem Messerblock und den Pfefferspray aus der dunkelblauen Jacke behändigt, selbst belastet. Als ihn die Polizei nach den Raubversuchen anhielt, trug er die beiden Gegenstände auf sich. Hätte er zugegeben, die Waffen ohne Kenntnis des Beschwerdeführers behändigt zu haben, hätte er weitere Straftaten eingestanden und sich selbst belastet. Mit seiner Aussage, die Gegenstände mit dem Einverständnis des Beschwerdeführers mitgenommen zu haben, belastete er somit diesen und entlastete gleichzeitig sich selbst. Folglich hätte die Vorinstanz diese Äusserung nicht heranziehen dürfen, um die Aussagen des Haupttäters als glaubhaft zu beurteilen.
Als weitere Folge erweist sich die vorinstanzliche Feststellung als haltlos, es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Haupttäter den Beschwerdeführer falsch hätte beschuldigen sollen. Allenfalls wollte er sich damit selbst entlasten.
Angesichts dieser willkürlichen Feststellungen ist der angefochtene Entscheid aufzuheben (E. 2.1).
Jetzt wird man mir entgegenhalten, es sei alles bestens, das Bundesgericht habe ja korrigiert. So weit sind wir aber noch nicht. Das Obergericht wird die Sache neu beurteilen, was auch die Möglichkeit beinhaltet, mit besserer Begründung wieder gleich zu entscheiden.
Wie kann es denn nur sein, dass Richter immer wieder juristische Anfängerfehler begehen: Verletzung der Unschuldsvermutung, Gehörsverletzung, und Verletzung diverser Grundsatzprinzipien?
Rührt es vielleicht daher, dass schweizer Richter vom Volk gewählt werden: dass Parteizugehörigkeit wichtiger gewertet wird als juristisches Können? Während in anderen Ländern nur die allerbesten Juristen für die richterliche Ernennung überhaupt in Betracht kommen, und zusätzlich eine spezifische Ausbildung bekommen.
Man denke hier an die französische Ecole Nationale de la Magistrature (ENM), dessen Direktor über die jährliche Aufnahmeprüfung Folgendes sagt: “Avec 1400 inscrits pour 135 places, nous avons la faiblesse de penser que nous recrutons effectivement les meilleurs des juristes”. (http://www.lemonde.fr/orientation-scolaire/article/2011/09/12/nous-allons-former-beaucoup-plus-de-magistrats-dans-les-annees-a-venir_1570844_1473696.html)
Es sei ein interessanter Blogeintrag eines französischen Richters erwähnt, der klar erklärt wieso er nichts von gewählten Richtern hält, und wieso kein vorsichtiger Bürger solche Wahlen gutheissen kann: http://www.huyette.net/article-a-propos-de-la-legitimite-et-de-l-election-des-juges-100048708.html
Ich denke, es liegt daran, dass die Bedeutung der “rule of law” nicht hinreichend erkannt wird. Verfassung und Gesetz werden nur so lange geachtet, als sie dem gesunden Richterverstand nicht widersprechen. Das öffentliche Interesse an einer funktionierenden Strafjustiz steht über allem; sogar über dem Gesetz, das die Vorstellungen des Gesetzgebers über die funktionierende Strafjustiz ja enthält.
Blöde Frage:
Wieso schickt eigentlich das Bundesgericht die Fälle so oft an die Vorinstanz zurück, statt selber Recht zu sprechen?
Klar, die Kantone haben dann mehr Freiraum, das Bundesgericht gibt nur die grobe Stossrichtung an.
Aber eben, wenn dann Ping-Pong zwischen dem Bundes- und einem Obergericht gespielt wird, und das 3 Runden lang….
Und dass kantonale Oberrichter so grobe Fehler machen können, irritiert mich schon.
Aber was in der Schweiz mit Abstand am Geilsten ist:
Die SVP sagte mal, sie strebe im Nationalrat die Mehrheit an, also 51 %.
Das würde bedeuten:
Bei den nächsten Richterwahlen wären alle Budnesrichter SVP-Hardliner.
Alle 7 Bundesräte wären vonder SVP.
Das ist daneben, dass die Richter nach parteipolitischen Dingens gewählt werden, doch wirklich toll an der Schweiz.
Ich bin sicher, noch in diesem Jahrhundert wird irgendeine PArtei alle Bundesrichter und alle 7 Bundesräte stellen.
Ihrem Beitrag merkt man an – wie übrigens manch Anderem hier auch – dass Sie keinerlei Ahnung vom Gerichtsalltag haben. Die Parteizugehörigkeit stellt wohl kaum irgendein Problem im Gerichtsalltag dar. Die Erfahrung zeigt, dass ein Richter einzig dem Gesetz verpflichtet ist und diesen Grundsatz auch umzusetzen vermag. Mit SVP/SP hat das in keiner Weise etwas zu tun. Den urteilenden Richtern ist ihre politische Gesinnung bei der Rechtsprechung in nicht anzumerken. “Hardliner”, wie Sie es nennen, finden sich sodann überall in gleicher Anzahl, auch bei der SP. Man sollte mit solchen Beurteilungen vorsichtig sein, wenn man weder mit den Akten betraut ist noch eine Ahnung von irgendwas hat.
Haben wir nicht alle ab und zu keine Ahnung? Nach 20 Jahren Gerichtsalltag glaube ich zwar auch, dass die Partei keine Rolle spielt. Alle Richter allein dem Gesetz verpflichtet? Ob das wirklich alle befolgen? Kaum!
Weil das Bundesgericht nicht in der Lage ist, ein Urteil selbst zu
fällen,geht der Fall wieder an die Vorinstanz zurück.So wie etwa Ponzius Pilatus:”Ich wasche meine Hände in Unschuld.”
“Ein Blick in die Gesetze erleichtert die Rechtsfindung!”