U-Haft im Verwaltungsstrafverfahren
In einem Verwaltungsstrafverfahren der Super-Strafverfolgungsbehörde ESBK hat der erstinstanzliche Haftrichter im Kanton Zürich einen Haftantrag mangels Fluchtgefahr abgewiesen. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts eilte der ESBK aber zu Hilfe und ordnete die Untersuchungshaft an. Das Bundesgericht hebt sie mangels Verhältnismässigkeit wieder auf (BGer 1B_680/2021 vom 14.01.2022, Fünferbesetzung):
Einzig die unbelegten Behauptungen der ESBK reichen – insbesondere auch unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Untersuchungsstadiums – jedoch nicht mehr aus, die Haft des Beschwerdeführers weiterhin aufrecht zu erhalten. Die Haft steht in einem Missverhältnis zur Bedeutung der Sache, jedenfalls so wie sie bisher von der ESBK dargestellt wurde. Daran ändert auch nichts, dass mit Inkrafttreten des neuen Geldspielgesetzes eine Verstärkung der präventiven Wirkung der strafrechtlichen Sanktion beabsichtigt wurde. Die weitere Inhaftierung lässt sich unter diesen Umständen nicht mehr rechtfertigen (E. 5.4).
Anstatt Haft sind nun Ersatzmassnahmen anzuordnen.
Das Bundesgericht hatte sich auch zur Frage zu äussern, ob das Beschwerderecht Art. 5 EMRK verletze, was mir als geradezu offensichtlich erscheint. Das Bundesgericht sieht das aber ganz anders:
Das Zwangsmassnahmengericht besitzt die Kompetenz, jemanden unverzüglich zu entlassen. Von dieser hat es vorliegend denn auch Gebrauch gemacht. Dies bedeutet aber nicht, dass gegen einen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts keine Beschwerde erhoben werden kann. Das Zwangsmassnahmengericht besitzt insofern keine „absolute“ Kompetenz, welche eine eigentliche Beschwerdeerhebung verbieten würde. Mit Art. 51 Abs. 6 VStrR liegt für das Beschwerderecht der Untersuchungsbehörde eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage vor. Diese schreibt indes keine unverzügliche Entlassung vor, sondern behält die vorläufige Aufrechterhaltung der Inhaftierung explizit vor. Ein Verstoss gegen Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK bzw. Art. 10 Abs. 2 BV kann darin nicht erblickt werden (E. 3.4, Hervorhebungen durch mich).
Weiter oben sagt das Bundesgericht demgegenüber folgendes:
Haftsachen müssen gestützt auf Art. 31 Abs. 3-4 BV und Art. 5 Abs. 3-4 EMRK mit besonderer Beschleunigung behandelt werden. Zudem muss jede Person, die von einer Festnahme oder von einem Freiheitsentzug betroffen ist, unverzüglich einem Gericht vorgeführt werden, das die Rechtmässigkeit der Haftgründe zu prüfen hat und die Kompetenz hat, die Haftentlassung verbindlich anzuordnen (vgl. Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Abs. 3 EMRK) [E. 3.2, Hervorhebungen durch mich].
In der Folge prüft das Bundesgericht nur, was „unverzüglich“ heisst. Ich hätte erwartet, dass es prüft, was „verbindlich“ heisst.
….ja, aber „verbindlich“ heisst ja noch lange nicht, dass es dagegen kein Beschwerderecht gibt….scheint logisch zu sein…
@Anonymous: wenn es so logisch wäre, hätte man es ja sagen können. Soweit ich es überblicke ist die Lehre nicht der Meinung, die das Bundesgericht vertritt.
Es gibt eben einen Grund, weshalb eines die Lehre und das andere das Bundesgericht ist….?
Soweit ersichtlich, haben wir hier eine gesetzliche grundlage, welche die haftentlassung von gesetzes wegen aufschiebt, wenn beschwerde angemeldet wird. Die anmeldung muss innert sehr kurzer frist erfolgen, sonst erfolgt die entlassung wie vom zmg angeordnet. Ich sehe auch nicht ganz, wo hier das problem liegt. Das zmg entscheidet durchaus verbindlich. Der betroffene wird nämlich verbindlch entlassen, wenn die kurze gesetzliche frist nach ergehen des entscheids unbenutzt abgelaufen ist. Auch ist gesetzlich ausdrücklich die beschwerdemöglichkeit der behörde vorgesehen. Die umstände sind somit gänzlich anders als im stpo bereich und die dortige kontroverse ist hier nicht einschlägig.
Verbindlich heisst das darüber vorerst das Bundesgericht verbindlich (solange man keine Änderung der Rechtsprechung macht) feststellt was die Vorinstanzen zu tun haben, Richter in Kantonalen Gerichten sind ja wie Kindergärtner die nicht mal Ihre Schuhe selbständig binden können, daher benötigen Sie Anweisungen und Handlungsempfehlungen des BGE, damit Sie wissen was Sie tun sollen und dürfen, verbindlich, bis eben zur Änderung der Rechtsprechung.
Wir wissen das wir nichts wissen
Wenn in die Grundrechte eingegriffen wird dann haben Beschwerden immer dahingehend aufschiebende Wirkung das der Grundrechtseingriff bestehen bleibt, im Gegenzug hat für den betroffenen eine Einsprache/Beschwerde praktisch nie suspensiv effekt.
Ach wie schön das wir den Dreck als Bürger dann von den Gerichten diskutieren dürfen, hier noch zusätzlich Bemerkenswert, die Haft wurde nicht aufgehoben, sondern an die Vorinstanz für die Ersatzmassnahmen zurückgewiesen.
Die Freiheit eines jeden sollte praktisch das höchste Gut sein das ein jeder Mensch hat, hier wurde nun von 2 Instanzen festgestellt das der bertroffene Unrechtmässigen Freiheitsentzug erleidet, und trotzdem sitzt er immer noch…
Das ist wirksamer Rechtschutz im Switzerländli, das einzige was hier wirksam sind sind die Gerichtsgebühren & Anwaltskosten die dem lieben Herrn enstanden sind, wofür, damit einge Beschäftigung haben
Grammatikalisch gesehen bedeutet das Wort „verbindlich“ nichts anderes als „daran gebunden sein“. M.E. sehe ich hier rein sprachlich also keinen Spielraum: „Rechts-verbindlich“ wird ein Urteil erst mit dessen Rechtskraft, die nur dann eintreten kann, wenn es eben gerade keine Beschwerdemöglichkeit (mehr) gibt.
Übrigens bezweifle ich, dass die EMRK mit „innerhalb kurzer Frist“ einen Zeitraum von gut drei Monaten meint. Wie dieser Entscheid einmal mehr zeigt, dauert es mehrere Monate, bis eine tatsächliche Haftentlassung erfolgt, wenn durch die Strafverfolgungsbehörden ein Rechtsmittel gegen die Haftentlassungsanordnung ergriffen werden kann.
Als letztes sei in Erinnerung gerufen, dass es hier um Lebenszeit eines Menschen geht, die man nicht „zurückbezahlen“ kann. Im Umstand, dass es keine Rechtsmittelmöglichkeit der Strafverfolgungsbehörden geben soll, kann ich keinen, auch nur ansatzweise vergleichbaren, nicht wieder gutzumachenden Nachteil erkennen.
Aus rechtlicher Sicht in jeder Hinsicht ein spannender Fall….
Interessant finde ich, dass das ZMG die Fluchtgefahr verneinte und die beiden nächsten Instanzen bejahten…macht den Eindruck, dass der schwarze Peter an die nächste Instanz geschoben wurde.