Über den Beweisantrag entscheiden wir im Rahmen der Urteilberatung
Es kommt oft vor, dass Gerichte Beweisanträge, die im Rahmen der Haupt- oder Berufungsverhandlung stellen, erst im Stadium der Urteilsberatung behandeln. Ob das zulässig ist, wage ich je nach Konstellation zu bezweifeln. Unerlässlich ist aber in jedem Fall, dass dann auch tatsächlich ein – offenbar förmlicher – Entscheid über den Beweisantrag gefällt wird (BGer 6B_561/2022 24.04.2023):
Dem Protokoll der Berufungsverhandlung vom 20. Dezember 2021 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer – wie in seiner Beschwerde dargetan – an seinem Beweisantrag festgehalten und diesen erneuert hat. Der Präsident im vorinstanzlichen Verfahren führte in der Folge aus, über den Beweisantrag werde in der Beratung in der Hauptsache entschieden. Falls eine Befragung der Mutter des Beschwerdeführers als nötig angesehen werde, müsse allenfalls nochmals eine Verhandlung durchgeführt werden (…).
Wie der Beschwerdeführer zu Recht rügt, geht aus dem angefochtenen Entscheid indes nicht hervor, ob über den Beweisantrag im Rahmen der Beratung in der Hauptsache überhaupt entschieden worden ist (…). Damit verletzt die Vorinstanz das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers i.S.v. Art. 29 Abs. 2 BV. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet (E. 1.3).
Wenn ich das richtig sehe, müsste somit ein separater Beschluss erfolgen, der die Abweisung und eine Begründung der Abweisung enthält. Dieser Beschluss müsste dann wohl mit dem Urteil eröffnet werden.
Nicht, dass ich den Entscheid kritisieren wollte, aber ich hätte dennoch auf Abweisung der Beschwerde getippt mit der Begründung, die Abweisung sei ja zumindest implizit erfolgt und die Begründung sei ja bereits aus den früheren Abweisungen bekannt.
“Wenn ich das richtig sehe, müsste somit ein separater Beschluss erfolgen, der die Abweisung und eine Begründung der Abweisung enthält. Dieser Beschluss müsste dann wohl mit dem Urteil eröffnet werden..”
Gratulation…
“Nicht, dass ich den Entscheid kritisieren wollte, aber ich hätte dennoch auf Abweisung der Beschwerde getippt mit der Begründung, die Abweisung sei ja zumindest implizit erfolgt und die Begründung sei ja bereits aus den früheren Abweisungen bekannt.”
:-)))))
Ich hätte auch so getippt wie Sie und kann den entscheid des bg nicht ganz nachvollziehen. Der präsident hat ja gesagt, dass man befragen werde, falls sich das als notwendig erweisen würde. Hat sich offenbar nicht, wie mit der zustellung des sachurteils genügend klar wurde. Jetzt kann man natürlich rügen, die antizipierte beweiswürdigung sei falsch, willkürlich und weiss der gugger was. Aber der beweisantrag sei nicht behandelt worden? Hä? Echt jetzt?
Oder man macht es wie einige Provinzgerichte im Kanton Aargau und protokolliert die Beweisanträge erst gar nicht. Dann muss man darüber auch nicht entscheiden und im Zweifelsfall hat es die Anträge nie gegeben.
Was machen Sie dann mit der digitalen Aufnahme (Art. 76 Abs. 4 StPO), die im Kanton Aargau flächendeckend erfolgt?
Hoffen dass sie noch existiert. Die Manipulation des Protokolls ist bereits ein Verbrechen. Da kommt es auf ein bisschen Begünstigung nicht mehr an.
Davon abgesehen haben die meisten Kollegen gar nicht präsent, dass diese Protokolle existieren. Nach meinem Eindruck werden die schriftlichen Protokolle überhaupt erst erstellt, wenn das beantragt wird.
Ist diese Vorgehensweise überhaupt StPO-konform??? Frage für einen Kollegen beim Gericht.
@Gerichtsschreiber: eher nicht.
Zumindest im Berufungsverfahren muss nicht sofort entschieden werden (BGer 6B_463/2013 E. 1.4). Umgekehrt müssen Beweisanträge auch noch nicht mit Berufungserklärung gestellt werden, sondern können auch noch bis zum Abschluss des Beweisverfahrens gestellt werden (BGE 143 IV 214). Gemäss Art. 349 i.V.m. Art. 379 StPO und Art. 389 Abs. 2 und 3 StPO kann das Berufungsgericht selbst im Stadium der Urteilsberatung noch Beweisergänzungen vornehmen, wenn es dies als notwendig erachtet (BGE 143 IV 214 E. 5.4). Dem Gericht muss deshalb auch möglich sein, über Beweisanträge erst im Rahmen der Urteilsberatung zu entscheiden. Es muss auch kein separater Beschluss ergehen, zumal dieser nicht separat angefochten werden könnte. Aus der Begründung des Berufungsentscheids muss aber freilich hervorgehen, dass und weshalb der Beweisantrag abgewiesen wird.
Möglicherweise hat der Name des Rechtsanwalts des Beschwerdeführers ja geholfen…