Überflüssige Tonaufnahme?
Ein Berufungskläger beantragte beim Obergericht ZH (II. Strafkammer) die Herausgabe der Tonaufnahme der erstinstanzlichen Hauptverhandlung. Diese befand sich offenbar nicht bei den Gerichtsakten, weshalb das Obergericht das Bezirksgericht um Erledigung ersuchte. Die Verfahrensleitung des Bezirksgerichts wies den Antrag – aus welchen Gründen auch immer – ab. Dagegen führte der Berufungskläger Beschwerde, welche das Obergericht ZH (III. Strafkammer) ebenfalls abwies. Das Bundesgericht tritt auf die dagegen gerichtete Beschwerde nicht ein (BGer 7B_184/2023 vom 16.05.2024):
Die Beschwerdeführerin verlangt die Herausgabe der Tonaufnahme der bezirksgerichtlichen Hauptverhandlung. Sie behauptet, sie habe begründeten Zweifel an der korrekten Protokollierung der Verhandlung. Insbesondere bei der Antwort zur Frage 27 stimme die Kontonummer nicht: Das Konto 1105 sei falsch, es müsste Konto 1205 heissen. Darüber hinaus führt die Beschwerdeführerin bloss – und im Allgemeinen – aus, die Tonaufnahmen seien “für den strafrechtlichen Vorwurf ihr gegenüber in verschiedener Hinsicht relevant”. Damit vermag sie keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu begründen. Der Zwischenentscheid wird durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar sein, soweit er sich auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG) [E. 1.4].
Der Entscheid des Bundesgerichts ist m.E. leider richtig. Leider, weil ich nicht verstehe, wieso man den Tonträger nicht einfach herausgibt und wieso sich die II. Strafkammer die Weigerung der erstinstanzlichen VL überhaupt bieten lässt. Für die Aufnahme interessiert sie sich scheinbar auch nicht, obwohl sie ja eigentlich selbst um Vollständigkeit der Akten bemüht sein müsste.
Der Fall zeigt indirekt, dass Hauptverhandlungen im Kanton Zürich völlig überflüssig sind, zumal sie sich auf Übungen im Vorlesen der Plädoyers (und bestenfalls Zuhören der Lesung) beschränken. Alles andere interessiert nicht.
So wie ich das verstehe, hat die Beschwerdeführerin eben nicht den Endentscheid der Hauptverhandlung beschwert, sondern eine andere Verfügung (die wahrscheinlich verfügt wurde, nachdem der “Hauptverhandlungsentscheid” in Rechtskraft erwuchs).
Damit hat sie ja tatsächlich keinen rechtlichen Nachteil. Warum sollte sie die Akten nach dem Entscheid einsehen wollen, was möchte sie damit erwirken? “für den strafrechtlichen Vorwurf ihr gegenüber in verschiedener Hinsicht relevant”: Dann soll sie ein Strafverfahren eröffnen > sobald Untersuchung eingeleitet hat sie rechtliches Gehör und kann Beweisanträge stellen; notfalls bei einer Nichtanhandnahme vor Gericht die Ermittlung erstreiten.
Die Beschwerdeführerin hätte den Entscheid der Hauptverhandlung weiterziehen müssen und geltend machen (substantiiert), dass “das rechtliche Gehör verletzt wurde > Strafmilderung/Freispruch bewirken könnte > Freiheit gefährdet” und damit hätte sie einen “rechtlich nicht-wiedergutzumachenden (erheblich schweren) Nachteil” oder nicht?
Und selbstverständlich hätte sie das bereits auf kantonaler Ebene rügen müssen: Sobald Aufforderung zur Stellungnahme ohne (oder mit unvollständigen) Akten kommt rüge ich sofort (noch am gleichen Tag), dass das rechtliche Gehör verletzt/beschnitten wird; Ich effektiv nicht die Mindestfrist von 10 Tagen zur schriftlichen Vernehmlassung erhalte, wenn ich die Akten erst nach 5 Tagen einsehen darf, jedoch die Gegenpartei (meist Staatsanwaltschaft) von Anfang an die Akten zur Verfügung hatte (Waffengleichheit und so)…
@Laie: Wir stecken hier im Berufungsverfahren.
Tja, wer lesen kann, ist im Vorteil….Ich war in der Fehlannahme, dass die Hauptverhandlung abgeschlossen war.
Der Staat darf sich alles erlauben. Immer. Leider hat das aber zur Folge, dass der Staat dadurch an Glaubwürdigkeit und Legitimation verliert!
@Gerichtsschreiber: was daran liegen könnte, dass er sich nicht an die eigenen Regeln hält, die er von den Individuen einfordert.
Kann es ja gar nicht da die Urteile-Dispo vom Gerichtsschreiber schon geschrieben sind kann ja nichts mehr interessieren
Die Tonaufnahme der Hauptverhandlung ist ein gesetzliches Luftschloss. Sie mag zwar existieren, aber man kommt nicht an sie heran. In einem von mir begleiteten Fall im Kanton Aargau besteht der Vorwurf der Urkundenfälschung im Amt. Ein Zeuge hat in der bezriksgerichtlichen Hauptverhandlung seine belastende Aussage gegenüber der Polizei widerrufen und anschliessend wahrheitsgemäss entlastend ausgesagt. Im schriftlichen Verhandlungsprotokoll findet sich nichts davon. Die entlastende Zeugenaussage wurde einfach weggelassen und der Beschuldigte wurde aufgrund der widerrufenen Aussage verurteilt. Nicht nur schützen sich die einzelnen Instanzen gegenseitig (Polizei, Gerichte, Staatsanwaltschaft), auch die Tonaufnahme wird dem Beschuldigten nicht herausgegeben. Das entsprechende Gesuch ist seit mehr als 12 Monaten rechtshängig.
@Lex Audax: Habe ich noch nie erlebt. Nach meiner Erfahrung kommt der Datenträger von Amts wegen zu den Akten und steht den Parteien mit den AKten zur Verfügung.