Überhöhte Kostennote der Privatklägerschaft
Es kommt in den meisten Kantonen praktisch nicht vor, dass die Kostennoten der Rechtsbeistände der Privatkläger gekürzt werden. Das Bundesgericht heisst nun aber eine Beschwerde im Kostenpunkt gut, weil die Vorinstanz eine vom Beschwerdeführer zu tragende Parteientschädigung zugesprochen hat, die nicht nachvollziehbar war (BGer 6B_764/2023 vom 19.02.2024):
Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass eine pauschale Bezifferung der Parteientschädigung, die weder nachvollziehbar noch überprüfbar ist, nicht ausreicht. Selbst die Vorinstanz hält ausdrücklich fest, der behauptete Aufwand sei unbelegt. Deshalb hätte sie auf den Antrag überhaupt nicht eintreten dürfen. Indem der Rechtsanwalt die beantragte Parteientschädigung bis zuletzt nicht belegte, hat er den Anspruch der Eltern verwirkt. Denn er hatte im Verlauf des Verfahrens immer wieder die Möglichkeit, die beantragte Prozessentschädigung zu beziffern und zu belegen (vgl. dazu Urteile 6B_1200/2017 vom 4. Juni 2018 E. 4.4; 6B_777/2017 vom 8. Februar 2018 E. 7.3). Die Vorinstanz erfüllte ihre Frage- und Fürsorgepflicht, indem sie den Rechtsanwalt zuletzt an der Berufungsverhandlung zur Bezifferung und Belegung aufforderte (E. 3.3.1).
Die gegenüber den Privatklägern grosszügige Praxis ist ein offenkundiges Bias-Indiz bei Gerichten, die ohne jede Hemmung die Kostennoten der Verteidigerinnen kürzen, dagegen aber auf Seiten der Privatkläger praktisch alles akzeptieren, bisweilen sogar dann, wenn sie nicht einmal eine Kostennote einreichen:
Es kommt hinzu, dass die Vorinstanz nicht begründet, weshalb sie eine Parteientschädigung von Fr. 12’000.– zuspricht. Zwar kürzt sie die Parteientschädigung um Fr. 4’000.–, weil der Antrag im Vergleich zum Aufwand der Verteidigung überhöht sei. Doch begründet sie mit keinem Wort, weshalb ein Aufwand von Fr. 12’000.– ausgewiesen sein soll.
Der Beschwerdeführer legt substanziiert dar, dass auch die reduzierte Parteientschädigung nur schwer nachvollziehbar sei. Er bringt vor, dass die gekürzte Parteientschädigung von Fr. 12’000.– beim geltend gemachten Stundensatz von Fr. 220.– einem Aufwand von 54.54 Stunden entsprechen würde. Er legt dar, dass der Rechtsanwalt der Eltern an den Einvernahmen des Beschwerdeführers und der beiden Zeugen teilgenommen habe. Diese seien am selben Tag während 5 Stunden durchgeführt worden. Zudem sei der Bruder des Opfers am 4. August 2020 während 1.5 Stunden befragt worden. Die erstinstanzliche Verhandlung habe 4 Stunden und 15 Minuten gedauert und die zweitinstanzliche Verhandlung 5 Stunden. Sodann habe der Rechtsanwalt der Eltern einige kurze E-Mails und Schreiben verfasst, die mit ungefähr zwei Stunden zu Buche schlagen dürften. Es sei anzunehmen, dass 4 Besprechungen zu je einer Stunde mit den Eltern stattgefunden hätten und dass ein Aktenstudium von 3 Stunden nötig gewesen sei.
Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, würde sich bei dieser plausiblen Rechnung ein Aufwand von höchstens 25 Stunden ergeben, was einer Parteientschädigung von Fr. 5’500.– entsprechen würde. Hätte der Rechtsanwalt der Eltern einen grösseren Aufwand betrieben, dann würde sich fragen, ob es sich dabei überhaupt um entschädigungspflichtige notwendige Aufwendungen handelt (E. 3.3.2).
Ich kenne fast nur den Fall, dass _auch_ die Entschädigung der Privatklägerschaft gekürzt wird. Die Faustregel «Halber Zeitaufwand zu einem Stundensatz von 220 Franken netto» funktioniert häufig, je nach Fall kann der «Selbstbehalt» aber auch deutlich mehr betragen.
«Schwer nachvollziehbar» kann ich im vorliegenden Fall auf den ersten Blick selbst schwer nachvollziehen. Bei den Einvernahmen gab es beispielsweise sicherlich Vorbesprechungen, Reisezeit, Wartezeit und Nachbesprechungen. Und Verhandlungen vor den Vorinstanzen gab es ja auch … ?????
E. 3.3.1 zeigt allerdings, wo vermutlich das eigentliche Problem lag:
«Daher lud die Vorinstanz den Rechtsanwalt ein, die beantragte Parteienschädigung zu beziffern und zu belegen. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass der Rechtsanwalt an der Berufungsverhandlung drei Mal erfolglos aufgefordert wurde, die Parteientschädigung zu beziffern. Schliesslich sei er gebeten worden, den Stundenaufwand während eines kurzen Unterbruchs abzuklären. Über diese Vorgänge lässt sich dem angefochtenen Urteil nichts entnehmen. Fest steht aber, dass der Rechtsanwalt schliesslich basierend auf einem Stundenansatz von Fr. 220.– einen Aufwand von Fr. 16’000.– behauptete.»
Ich schliesse mich Martin Steiger an. Ich vertrete regelmässig PrivatklägerInnen. Kürzungen von Honorarnoten erfolgen auch bei uns und sind sicherlich kein reines “Verteidiger-Problem”.
Selbstverständlich muss eine Parteientschädigung beziffert und belegt werden, eine reine Behauptung reicht nicht aus.
Kommt halt sehr auf den Kanton und die Gerichte an. Vielerorts wird praktisch nur bei der Verteidigung gekürzt.
Gibt es wirklich in Kantone, welche die Honorarnoten der Privatklägerschaft vollumfänglich genehmigen?
Das Problem beginnt ja bereits beim Stundensatz, der in fast allen Kantonen nicht beliebig hoch sein kann …
Eigentlich steht die Anforderung an das Substanziierung der Aufwände Widerspruch zum Anwaltsgeheimnis. Wenn man hier über konkrete Leistungen Auskunft gibt, gibt man viel über das Klientenverhältnis Preis. Man sollte deshalb bei der Formulierung der Kostennote höchste Vorsicht walten lassen und so abstrakt wie möglich halten.
Ja, das ist ein Problem. Man gibt zwangsläufig den anderen Beteiligten allenfalls wertvollen Einblick in das eigene Vorgehen …
Eine mögliche Lösung wäre eine Instanz zur Beurteilung und Abwicklung der Entschädigung unabhängig von den beteiligten Behörden und Parteien. (Was natürlich aufwendig wäre und deshalb nie eingeführt werden wird.)
Wie wahr … der Hut ist drin sucht ihn.
Letzthin hat ein Staatsanwalt meine Kilometerentschädigung um 0.05 Franken pro Km gekürzt!