Übermütige Staatsanwälte
Die moralisch immer und von Amts wegen überlegene Stellung der Staatsanwälte treibt mitunter merkwürdige Blüten. Aus einem neuen Bundesgerichtsentscheid geht hervor, dass sich die Staatsanwaltschaft selbst darüber beschwert, dass ihr die Justiz nicht Gelegenheit gegeben hat, ihre eigenen Fehler (Verletzung des Anklageprinzips) zu korrigieren (BGer 6B_963/2015 vom 19.05.2016).
Das Bundesgericht lässt das freilich nicht zu:
Dem Beschwerdegegner wurde von Beginn weg eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln vorgeworfen. Wenn es die Staatsanwaltschaft unterlässt, in der Anklageschrift alle tatsächlichen Umstände anzuführen, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des vorgeworfenen Verhaltens (möglicherweise) ergeben könnte, kann dies nicht zur Verpflichtung des Gerichts führen, ihr Gelegenheit zur Anklageänderung bzw. -erweiterung zu geben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beschwerdeführerin zitierten Urteil 6B_777/2011 vom 10. April 2012 respektive dessen Erwägung 2.
Folgende Erwägungen sind ebenfalls interessant und vorzumerken:
Die abstrakte Tatbestandsumschreibung (Obersatz) vermag den konkreten Anklagevorwurf (Untersatz/Anklagesachverhalt) nicht zu ersetzen (E. 1.4).
Im Anklagesachverhalt müssen die Schuldform (sofern vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten strafbar ist), die Mitwirkungsform (Mittäterschaft, Anstiftung, Gehilfenschaft) und die Erscheinungsform (Versuch oder vollendetes Delikt) dargelegt werden. Bei Fahrlässigkeitsdelikten sind in der Anklage sämtliche tatsächlichen Umstände anzuführen, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des vorgeworfenen Verhaltens sowie die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des eingetretenen Erfolges ergeben sollen. Es ist insbesondere möglichst genau darzulegen, inwiefern die beschuldigte Person die gebotene Sorgfalt oder Vorsicht nicht beachtet hat (E. 1.3.2).