Überwachungsstatistik 2019
Der Dienst ÜPF hat Zahlen zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs im Jahr 2019 veröffentlicht. Sie liefern auch dieses Jahr wieder Erstaunliches oder zumindest Überraschendes.
Die weitaus meisten Überwachungsmassnahmen gehen auf das Konto der Vermögens- und Drogendelikte. Schwerstkriminalität spielt keine grosse Rolle.
Was mich immer wieder wundert ist die zunehmend grosse Zahl der Notsuchen und die Anzahl Antennensuchläufe, die nun separat ausgewiesen werden. Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass der Nachrichtendienst des Bundes mehr komplexe Anfragen lanciert als die einzelnen Kantone.
Der mit Abstand überwachungsfreudigste Kanton ist VD.
Wer es gerne detaillierter mag, findet Excel-Sheets zu den Auskünften und Überwachungen. Letztere enthalten auch Daten über den Einsatz von IMSI-Catcher und Staatstrojaner (allerdings nur die genehmigten, denn andere gibt es nicht). IMSI-Catcher werden übrigens auch erstaunlich oft für Notsuschen eingesetzt. Wie zuverlässig die Zahlen zu den besonderen technischen Geräten sind, weiss ich nicht. Ich vermute, sie sind unvollständig.
Da sie „schwere Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz“ und Vermögensdelikte, die schwer genug sind, dass man den Formularkrieg, wiederkehrende Bewilligungsanträge und tausende von Franken Kosten glaubt verantworten zu können, offenbar nicht dazu zählen: Was ist nach Ihrer Definition Schwerstkriminalität?
Erstaunlich ist die seit Jahren zu beobachtende Rückläufigkeit der Überwachungsamassnahmen, die so gar nicht ins politische Narrativ zum Thema passt. 2019 gab es 50% weniger Echtzeitüberwachungen als noch 2015.
Opferlose Kriminalität kann nach meinem Verständnis nie schwere Kriminalität sein. Vermögens- und Eigentumsdelikte auch nicht.
Mit Vermögensdelikten kann man ganze Existenzen zerstören. Dies würde ich nicht unterschätzen. Bei kleinen Deliktssummen dürfte seltenst eine kostenintensive Überwachungsmassnahme gewählt werden. Ich würde die Kategorie „Schwere Kriminalität“ (was auch immer das ist) nicht einzig Anhand der Deliktsgruppe von der Hand weisen. Es kommt auf den Einzelfall an.
Übrigens: Wer Betäubungsmitteldelikte als „opferlose Kriminalität“ bezeichnet, verkennt das Leid, welches durch Betäubungsmittel verursacht werden kann. Der Gesetzgeber sieht den schweren Fall im Betäubungsmittelgesetz offensichtlich als schwere Kriminalität an, was sich schon an der Strafandrohung zeigt.
@Thomas Lieven: Dass der Gesetzgeber Betm-Delikte als besonders schwer einstuft, ist schon klar. Ich sehe trotzdem nicht ein, was daran strafwürdig sein soll.
@kj: die persönlichen Empfindungen hinsichtlich der Strafwürdigkeit können von den Strafverfolgungsbehörden ja nicht berücksichtigt werden. Selbst wenn ein Staatsanwalt Ihre Ansicht teilen würde, wäre er ja dennoch zur Umsetzung des Gesetzes verpflichtet.
Da der Gesetzgeber offenbar das Verbrechen gegen das BetmG als „Schwerstkriminalität“ einstuft, wäre es also überraschend, wenn diese Deliktskategorie in der Statistik untervertreten wäre.
Übrigens dürften die Kategorien Vermögensdelikte und Verbrechen BetmG, auch vom Mengengerüst häufiger vorkommen, als zum Beispiel Gewaltverbrechen. Kommt hinzu, dass Fernmeldeüberwachungsmassnahmen bei vielen Gewaltverbrechen keine zusätzlichen Informationsgewinn bringen dürften, bei Betäubungsmitteln hingegen grosse Erkenntnisgewinne versprechen. Es ist also eigentlich nicht wirklich überraschend, dass diese Delikte in der Statistik selten auftauchen.
Und die zerstörten Leben von Drogenabhängigen und die Drogentoten zählen selbstredend nicht als Opfer, oder wie? Und die Opfer von Raubüberfällen auch nicht? Ja, ist klar. Es geht ihnen wohl weniger um die Sache, sondern um die Pflege einer politischen Doktrin ganz eigenartiger Couleur.
@Hans: Danke für den wertvollen Beitrag. Aber regen Sie sich doch wieder ab. Sie haben doch bloss meinen Standpunkt nicht begriffen, das ist alles. Eines interessiert mich aber schon: welche politische Doktrin pflege ich denn Ihrer geschätzten Meinung nach?
Das Leid, werter Thomas Lieven, verursacht einzig der Staat durch seine Prohibitionspolitik.
Hinzu kommt, dass ein Grossteil der Fälle von „schweren“ Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz solche sind, welche der Durchschnittsbürger gerade nicht im Sinn hat, wenn er oder sie an schwere Fälle von Drogenhandel denkt. Die lächerlich tiefen Grenzwerte, welche die Rechtsprechung festgesetzt hat (z.B. 18 g für Kokain) erfüllt praktisch jeder süchtige Kleinstdealer.
…und doch gibt es auch (trotz einer solchen Einstellung gegenüber „White-collar-crime“) immer wieder mehrjährige Freiheitsstrafen nach gewerbsmässigem Betrug etc. (sogar wenn dabei „nur“ das Gemeinwesen und somit schlussendlich wir alle letztendlich geschädigt sein können…)
Von abstrakten statistischen Angaben auf den Einzelfall von doch immerhin erforderlichen Katalogtaten zu schliessen, bleibt dabei halt immer etwas heikel…
@eagle-eye: Vermögensdelikte sind in der Schweiz natürlich rasch Kapitalverbrechen. Man sieht es an der prominenten Stellung in der Gesetzessystematik und der Einordnung: alles was über CHF 300.00 liegt, ist ein Verbrechen. Man könnte meinen, unser StGB wurde von den Vermögenden gemacht, die in erster Linie auf den Schutz ihres Vermögens bedacht waren.
…spannend übrigens insbesondere der Schluss des Dienstes ÜPF auch von den statistischen Zahlen, wonach sich zeige, „dass die Strafverfolgungsbehörden in etwa 1,5 Prozent aller Delikte eine Fernmeldeüberwachung anordnen“ – wobei auch hier noch zu beachten bliebe, dass in den Verfahren, in denen Fernmeldeüberwachungen anzuordnen (bzw. zuerst zu beantragen und genehmigen lassen) sind, oftmals dann gleich mehrere Fernmeldemassnahmen bzw. Überwachungen zum Einsatz kommen… die Zahl der eigentlich betroffenen Straffälle (mit gleichzeitig mehreren RTIs und weiteren Überwachungsmassnahmen etwa mit akt. TK dazu noch in einem Verfahren), dürfte also bezogen auf die Gesamtzahl der Straffälle somit insgesamt noch deutlich unter 1.5 % zu liegen kommen.
Also weil eben mehrere ÜPF-Überwachungsmassnahmen schliesslich dasselbe Verfahren betreffen: Rein schon infolge des damit verbundenen Aufwandes der damit regelmässig mit solchen Aktionen verbunden ist – auch mit dem Dienst ÜPF etc. sowie neben der Katalogtat auch der zu beachtenden relativ hohen Hürde der Genehmigungsvoraussetzungen – werden/können sich daher diese Fälle letztlich gar nicht im Bagatellbereich bewegen.
@eagle-eye: Da könnten wir Strafverteididger aber Gegenbeispiele nennen. Und dass die Genehmigungsvoraussetzungen hoch sein sollen, stimmt einfach nicht. Die ZMG stempeln praktisch alles ab. Einzige wirksame Hürde ist die Bürokratie, die ein Staatsanwalt auf sich nehmen muss, um eine Anordnung genehmigen zu lassen.
…wie erwähnt: Unter 1.5 % der Straffälle betreffend… also insgesamt schon eher Einzelfallbezogen… (da könnten somit in jede Richtung verschiedene Beispiele genannt werden)… 😉